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Reviews

Desmarest, H. (Niquet)

Grand Motets


Info

Musikrichtung: Geistliche Musik

VÖ: 01.11.2003

(Glossa / Note 1) Best. Nr. GCD 921607

Gesamtspielzeit: 61:54

MUSIKALISCHE BOTSCHAFTEN EINES VERBANNTEN

Trotz seines großen Talents kam Henry Desmarest (1661-1741) unter Ludwig XIV. einfach nicht richtig zum Zuge: Eine Pension ehrenhalber war das einzige, was man ihm 1683 nach dem Wettbewerb um die musikalischen Ämter am Hof bewilligte. Zu jung! lautete das Urteil. Wegen einer Ghost-Writer-Affäre einige Jahre später (Desmarest hatte lange Zeit einen Hofkomponisten "beliefert") wurde er erst bei Hofe entfernt, die Liebe zur falschen Frau (die der Komponist deshalb entführte) endete schließlich in der Verbannung: in Abwesenheit zum Tode verurteilt, gab es keine Möglichkeit zur Rückkehr nach Frankreich. Aus seinem lothringischen Exil schickte Desmarest gelegentlich musikalische Botschaften an den König mit der Hoffnung auf Begnadigung. Doch erst 1722 sollte ihm die Rückkehr gestattet werden. Da war Ludwig XIV. schon sieben Jahre tot.

UNBEKANNTES AUS DEM FRÜH- UND SPÄTWERK

Dass der etwas glücklose Komponist über ein großes Talent verfügte und durchaus eigene Wege ging, läßt sein Te Deum von 1687 erkennen. Desmarest verzichtet auf den üblichen Pomp mit Pauken und Trompeten, um eine Art monumentale geistliche Kammermusik daraus zu machen: intim und zugleich vielschichtig, mit mehrfach geteiltem Chor und üppigem Kontrapunkt, dabei stets der religiösen Aussage verpflichtet. Wo sich seine Kollegen zur gleichen Zeit durch Riesenbesetzungen zu übertrumpfen suchten, fiel Desmarest gerade deshalb auf, weil er statt auf die Außen- auf die Innenwirkung seiner Musik setzte.
Dagegen stammt der Grand Motet Dominus regnavit (Psalm 96) aus der Zeit des Exils. Hier handelt es sich um ein Werk der Reife, in dessen unverkennbar französisches Idiom jene musikalischen Erfahrungen eingegangen sind, die der Komponist in den Jahren seiner Verbannung gesammelt hatte: Harmonik, Melodik und Faktur sind reicher und unberechenbarer in ihrer Entwicklung geworden. Ob der König diese visionäre Beschwörung des Jüngsten Gerichts zu würdigen wusste?

ZWISCHEN RHYTHMISCHER PRÄGNANZ UND FLÜCHTIGKEIT

Hervé Niquet und das Concert Spirituel machen sich hier zum Botschafter des lange vergessenen und als Lully-Epigonen abgetanen Desmarest. Vor drei Jahren hatte William Christie mit Les Arts Florissants bereits vier Motetten aus der Zeit der Verbannung herausgebracht (Erato 8573-80223-2): groß besetzte Werke, deren Inspiration und Inbrunst aufhorchen ließen. Christies Interpretation zeichnete sich durch einen eher weichen Zugriff aus. Er betonte den mystischen Aspekt der Musik, schwelgte im dichten Stimmgefüge und präsentierte den Komponisten als barocken Romantiker.
Anders Niquet bei den Ersteinspielungen auf dieser CD: Mit kleinerer Besetzung, klarer und lebhafter Zeichnung der Linien trägt er dem rhythmischen Impuls der Musik Rechnung. Das treibt die Musik voran, läßt sie aber auch unruhiger und weniger konzentriert erscheinen. Während Christie, dessen Besetzung sich an den üppigen Verhältnissen der lothringischen Hofkapelle orientiert, die Kontraste besonders beim Wechsel von Chören, Soli und Ensembles wirkungsvoll herausarbeitet, kommen die Werke bei Niquet 'flacher' und eher kleingliedrig daher. Manches hätte man sich dann doch mehr ausgekostet, anderes dagegen mit größerer Geste gezeichnet gewünscht. Die Solisten sind gut, agieren aber mehr als Teil des Chores und verfügen nicht über die suggestiven Fähigkeiten von Christies Team. So ergibt sich ein etwas unbefriedigender Gesamteindruck: Man erkennt die Qualitäten Musik, entdeckt viele schöne Details, dennoch läßt einen die Darbietung seltsam unberührt.



Georg Henkel

Trackliste

01-12 Dominus Regnavit
13-26 Te Deum de Paris

Besetzung

Marie-Louise Duthoit - Hannah Bayodi (Sopran)
Robert Getchell (Haut-Contre)
Stephan van Dyck (Tenor)
Alain Buet (Bariton)
Eammanuel Vistorky (Bass)
Chor und Orchester 'Le Concert Spirituel'

Ltg. Hervé Niquet
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