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Charpentier, M. A. (Johannsen)

Noël. Weihnachtskantaten

Info Musikrichtung: Barock Kantate VÖ: 01.09.2008 (Carus Verlag / Note 1 / CD 27 / Best. Nr. 83.196) Gesamtspielzeit: 58:27

598 Nummern umfasst das Werkverzeichnis von Marc-Antoine Charpentier in der Systematik von H. W. Hitchcock. Und obwohl der Komponist nach Jahrhunderten des Vergessens inzwischen gut auf diversen CDs repräsentiert ist, gibt es immer noch zahlreiche schöne Stücke aus seinen gesammelten Partituren, die auf eine stilgerechte Aufführung warten. Dass es in diesem Fall deutsche Interpreten sind, die eine Reihe von Charpentier-Premieren mit Weihnachtskantaten & instrumentalen Noëls auf CD vorstellen, ist da umso bemerkenswerter.
Die französische Musik des Barock, zumal die Vokalmusik, erfreut sich hierzulande nämlich noch immer nicht der gleichen Wertschätzung wie die italienische, was zum Teil einfach mit aufführungspraktischen Besonderheiten, zum Teil auch geschmacklichen Präferenzen zu tun haben mag. Die stark zum Figurativen und Deklamatorischen neigende französische Vokal-Musik des 17. und 18. Jahrhundert ist nicht so unmittelbar emotional eingängig wie die melodie- und affektbetonte Italienische. Stimmtypen, Instrumente und vor allem die Verzierungslehre sind eine Wissenschaft für sich. Was diese Aspekte angeht, bieten das solistensemble stimmkunst und das Ensemble 94 unter der Leitung von Kay Johannsen durchweg ansprechende Interpretationen. Dabei betonen sie anders als ihre französischen Kollegen weniger die rhythmische bzw. tänzerische Seite der Musik als deren melodische Entwicklung. Die hat beim Carissimi-Schüler Charpentier einen ganz eigenen Reiz, wie auch sonst die Anklänge an seine italienischen Lehrjahre nicht zu überhören sind.
Dieser Ansatz mag auch dem Ort der Aufnahme geschuldet sein. Der Nachhall in der Stiftskirche Stuttgart und ein leicht distanziertes Klangbild lassen die Musik eher weich und etwas flächig wirken; diese Umstände kommen auch einem insgesamt ruhigeren Tempo entgegen. Die Textverständlichkeit ist bei den größeren Besetzungen nicht immer gleich gut.
Ein Vergleich mit der vom Parlement de Musique unter Martin Gester eingespielten Fassung von In Nativitatem Domini canticum, H 314 (Accord) zeigt deutlich die Unterschiede im „Zungenschlag“ der Ensembles. Die Franzosen bringen mit ihrem leichten, filigranen Spiel einen - vielleicht auch nur fiktiven - französischen Akzent in die Musik hinein. Die jüngere Aufnahme setzt dagegen auf eine mehr getragene sakrale Anmutung, die aber ebenfalls zu den weihnachtlichen Stücken passt. Statt himmlischer Freude dominiert die Ergriffenheit.
Ein besonderer Gewinn sind die neun instrumentalen Noëls, für mich die heimlichen Höhepunkte der Produktion. Vor allem Charpentiers farbige Instrumentierung macht aus diesen eigentlich ganz einfachen volkstümlichen weihnachtlichen Melodien kleine Kunstwerke von bezwingendem Charme.

Georg Henkel