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Le Carnaval Des Animaux
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Musikrichtung:
Kammermusik
VÖ: 10.10.2003 (Virgin Classics / EMI) CD (AD 2002) / Best. Nr. 7243 5 45606 0 Gesamtspielzeit: 62:59 Internet: Virgin Classics |
ANIMALISCHE CARTOONS UND ANDERE SELTSAMKEITEN
Es war wohl weniger die Koketterie des erfolgreichen Komponisten, als die Angst vor künstlerischen Missverständnissen, die Camille Saint-Saens (1835-1921) bewog, sein als "Große zoologische Fantasie" untertiteltes Dezett Der Karneval der Tiere von 1886 zu Lebzeiten mit einem Aufführungsverbot zu belegen (mit Ausnahme eines Satzes, was die Regel freilich bestätigt). Erst 1922 gab es den vollständigen Zyklus zu hören - womit die Erfolgsstory ihren Lauf nahm, Orchesterbearbeitung inklusive. Und auch die Missverständnisse blieben nicht aus. Putzige Tiere und eingängie Musik - zusammen mit Peter und der Wolf formierte Saint-Saens' Karneval fortan das Basisrepertoire der Kinderkonzerte.
EIN SATIRISCHER ZOO FÜR GROSSE LEUTE
Dass der Komponist hier mehr als einen kindgerechten "Klassik-Hit", nämlich einen äußert kurzweiligen musikalischen Scherz komponiert hat, der zur Charakterisierung seines tiereischen Personal ebenso virtuos wie parodistisch mit musikalischen Versatzstücken jongliert, entgeht wohl nur dem erwachsenen Hörer nicht. Vorausgesetzt, dieser erkennt die zahlreichen Anspielungen und Zitate: Offenbachs furioser Höllengallopp hat sich hier dem Zeitlupenauftritt der Schildkröten anzubequemen. Der Elephant schreitet zum Tanz der Sylphen von Berlioz aus. Und wäre hätte gedacht, das diverse Fossilien (!) bevorzugt mit Klängen aus Rossinis Barbier die paläonthologische Sammlung verlassen würden? Ach ja: Auch der Klavier-Virtuose gehört zu jenen merkwürdigen Tierarten, denen Saint-Saens ein musikalisches Porträt widmet: Großartige Banalität und kunstvolles pianistisches Stümpertum sind die unverwechselbaren Kennzeichen dieser Spezies.
Die originale Fassung für Kammermensemble sorgt dafür, dass der Witz des Komponisten in schönster Klarheit herauskommt: Zwei Klaviere, ein Streichquintett, Flöte, Klarinette und Schlagzeug bringen Saint-Saens' Zoo nicht in der gefälligen Breitwandfassung, sondern als bunten Cartoon aufs Podium. Die Interpreten zeichnen die musikalischen Linien transparent nach, ohne das Werk zu skelettieren. Gekonnt werden die zahlreichen Gags ausgespielt, delikate klangfarbliche Wirkungen (z. B. beim unwirklichen Schillern des Aquariums), Spezial-Effekte wie das Hahnengeschrei und überraschende Wendungen ausgekostet.
Unter diesen Bedingungen entfalten auch die übrigen "seltsam" besetzten Stücke auf dieser Platte ihre Reize. Saint-Saens elegant-eklektischer Stil führt den kundigen Hörer zugleich durch vierhundert Jahre abendländische Musikgeschichte: barocke Fugen, Passacaglien und Rokoko-Verzierungen klingen ebenso an, wie die dichte Harmonik der Spätromantik. Das alles ist unüberhörbar französisch, verträgt falsches Pathos ebensowenig wie anämisches Geplänkel. Bei der Fantasie für Violine und Harfe op. 124, drei ganz unterschiedlichen Stücken für Violoncello und Klavier und dem finalen Septett op. 65, das die brillante Trompete mit Klavier und Streichquintett kombiniert, stellen die jungen Interpreten dem "Neoklassizismus" des Komponisten das beste Zeugnis aus.
Weniger gut ist die Note, die für die Klangtechnik zu vergeben ist: Unausgewogen, nicht ohne Verfärbungen kommen Karneval und Septett daher. Viel mehr überzeugen die Stücke in den kleinen Besetzungen, die vom gleichen Team in einem anderen Raum und offensichtlich unter wesentlich besseren akustischen Bedingungen in Bits und Bytes verwandelt wurden.
VORSICHT: COPY CONTROLLED
Außerdem: Hinter dem inzwischen auch auf EMI- und Virgin-Aufnahmen befindlichen Label "Copy Controlled" verbirgt sich nichts anderes, als eine bis an die Grenzen zur Lesbarkeit deformierte Tonspur, die Computerlaufwerke mit schlechter Fehlerkorrektur aus dem Tritt bringen und illegales Brennen verhindern soll. Es darf auch als Kauf-Warnung genommen werden: Obschon diese Aufnahme auf einem NAD-Player mit guter Korrektur abgespielt wurde, kam es immer wieder zu Wacklern! Bei allem Verständnis für die Interessen der arg gebeutelten Phono-Industrie: So wird das nichts!
Georg Henkel
Trackliste
15 Fantasie f. Violine und Harfe op. 124
16 Romanze für Violoncello und Klavier op. 36
17 Prière für Violoncello und Klavier op. 158
18 "Mon coeur s'ouvre à ta voix" (Samson et Dalila), bearb. f. Violoncello und Klaiver
19-22 Septett op. 65
Besetzung
Béatrice Muthelet (Viola)
Gautier Capucon (Violoncello)
Janne Saksala (Kontrabass)
Frank Braley - Michel Dalberto (Klavier)
Emmanuel Pahud (Flöte)
Paul Meyer (Klarinette)
David Guerrier (Trompete)
Marie-Pierre Langlamet
Florent Jodelet (Schlagzeug)
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |