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Jaroussky, Philippe

Carestini - The story of a castrato

Info Musikrichtung: Barock / Oper VÖ: 15.02.2008 Virgin Classics / EMI (CD, DDD (AD: 2007) / Best.nr. 00946 3 95242 2 8) Gesamtspielzeit: 71:57 Internet: Philippe Jaroussky Le Concert d´Astrée Virgin Classics

Der Name des Kastraten Farinelli ist spätestens seit dem gleichnamigen Film den Freunden des Barock vertraut. Aber wer war Carestini? Er war kein Geringerer als Farinellis grösster Konkurrent und derjenige von beiden, dem Johann Adolph Hasse attestierte, er zelebriere "den vollkommenen Gesang". Farinelli wie Carestini buhlten um die Gunst des Publikums in allen europäischen Metropolen und so manche Intrige wurde gesponnen, um den jeweils anderen auszustechen. Während Farinelli wohl über den größeren Stimmumfang gebot, galt sein Gesang im Vergleich zu dem Carestinis doch als eher technisch-unterkühlt. Carestinis Vortrag war es, der die Emotionen noch stärker anzuheizen und das Publikum wahrhaft in die leidenschaftlichen Gefühle der Oper hineinzuziehen vermochte.
Die Geschichte von Carestinis kometenhaftem Aufstieg und von der Musik, die ihm die grössten Komponisten seiner Zeit widmeten, erzählt die neueste Produktion mit dem französischen Countertenor Philippe Jaroussky. Sie ist schon deshalb etwas besonderes, weil hier nicht willkürlich Kastratenarien aneinander gereiht wurden, sondern in nahezu chronologischer Reihenfolge wichtige Stationen in Carestinis Karriere musikalisch nachgezeichnet werden. Die zugehörigen biographischen Details dazu liefert das vortrefflich gelungene, ausführliche Booklet.

Dennoch: Bei aller musikhistorischen Ambitioniertheit sind die virtuosen Arien doch letztendlich mehr etwas für´s Herz als für den gut informierten Kopf. Und insoweit hätte man schwerlich einen würdigeren Nachfolger für Carestinis große Fußstapfen finden können als Philippe Jaroussky. Er gebietet über eine klangschöne, unübertroffen reine und virtuos geführte Counterstimme mit herrlichem Schmelz. Seine Stärke liegt vor allem darin, die Tongebung in feinsten Abstufungen bis ins Pastellige hinein zu schattieren und den Ton auch in den heikeln Lagen noch aufblühen zu lassen und dynamisch zu gestalten. Nur ganz selten einmal überstrahlen die attaca auszuführenden Spitzentöne und bleichen aus, geraten dabei aber weder unrein noch schrill.
Mitreissend ist Jaroussky nicht zuallererst in den schnellen Bravourarien, wenngleich man diese kaum je so souverän zu hören bekommen dürfte. Vielmehr verblüfft er in den langsamen Arien mit einem ungeheuer intensiven, klug und unmittelbar anrührenden Vortrag und einem langen Atem, wie man ihn bei einem Countertenor nicht erwarten würde. Dadurch ist unter anderem das "Scherza infida" aus Händels "Ariodante" zu einem Höhepunkt der Aufnahme geworden. Schöner, berührender ist lange nicht gelitten worden.

Einen gewichtigen Teil zum Gelingen der Produktion trägt das atmende, pulsierende Spiel von Le Concert d´Astrée unter der Leitung von Emmanuelle Haim bei, welches Jaroussky ein ideales Tableau bietet, um seine Kunst entfalten zu können.
Mit dieser CD ist Jaroussky Platz 1 in der Weltrangliste der Countertenöre vorerst sicher. Es bleibt abzuwarten, wann ein würdiger Erbe Farinellis die Bühne betreten wird, um dem 1978 geborenen Jaroussky wie einst dessen Vorgänger Carestini ernsthaft Konkurrenz zu machen.

Sven Kerkhoff