Reviews
Bel Canto Arias
Info
Musikrichtung:
Opernarien
VÖ: 17.10.2003 (Virgin Veritas / EMI) Gesamtspielzeit: 68:24 |
GENAUX WECHSELT DAS FACH: VOM BAROCK ZUM BEL CANTO
BELCANTO = ENDLOSE MELODIELINIEN OHNE AUSDRUCK?
... Nein, so ist der Begriff eigentlich nicht zu verstehen, auch wenn manch ein Opernkomponist des 19. Jahrhunderts zu diesem einfallslosen Rezept gegriffen haben mag. Donizetti und Rossini, deren Arien sich Vivica Genaux diesmal widmet, legten neben der virtuosen Sangeskunst durchaus Wert auf eine dramatische Gestaltung der Partien. Das ist viel verlangt und, um es vorwegzunehmen, die aus Alaska gebürtige Mezzosopranistin wird diesem Anspruch nicht durchgehend gerecht.
Vivica Genaux hat in jüngster Zeit die Aufmerksamkeit von Presse und Publikum vor allem durch ihre Aufnahme mit Arien, die ursprünglich für den legendären Kastraten Farinelli geschrieben waren, auf sich gezogen (HMF, Best.Nr. 4814941). Schon damals gab es aber ein durchaus geteiltes Echo, was dem Verkaufserfolg der CD jedoch keinen Abbruch tat.
STIMMFARBE UND GESTALTUNGSKRAFT ALS PROBLEM
Der Mezzo von Vivica Genaux weist einige Besonderheiten auf: In der Höhe erreicht sie eine brillante, bisweilen volle Tongebung, auch in der Tiefe ist sie beweglich und stimmlich sicher. Dieser Tonumfang wird erkauft durch ein eher unschönes mittleres Register, in dem sie die Töne häufig nicht recht zum Klingen bringt, sondern nur einen mattsilbernen, teilweise rauchigen Klang erzeugt. Zudem passt das herbe Timbre ihrer Stimme weit eher zu Kastratenrollen, als zu (jung-)mädchenhaften Opernfiguren.
Diese Charakteristika werden beim Belcanto zum Problem: Die Läufe und Kaskaden verlieren durch den Farbwechsel von einem Register zum nächsten ihre mitreißende Kraft, der melodische Bogen zerbricht allzu leicht.
Hinzu kommt, dass der Genaux nicht jene Vielfalt stimmlicher Mittel zu Gebote steht, über die etwa Cecilia Bartoli verfügt. Auch steigert sie sich nicht mit ähnlicher Emphase in die Rollen hinein. Es fällt deshalb bisweilen schwer, dem bloßen Höreindruck nach zu beurteilen, ob gerade eine tragische, komische, leidenschaftliche oder dramatische Arie interpretiert wird - die Unterschiede sind zu wenig konturiert herausgearbeitet. Dementsprechend fühlt der Hörer nicht mit, berührt ihn der Gesang nicht so unmittelbar, wie es gerade beim Belcanto der Fall sein sollte.
NICHT IM KOMISCHEN FACH ZUHAUSE
Am besten gelingen die Partien mit eher verhaltenem, lyrischen Grundton. Die Arie des Hassem aus Donizettis "Alahor in Granata" beispielsweise, auch Smetons "Un bacio, un bacio ancora" (aus Anna Bolena), oder aus Rossinis Oper La donna del lago die Szene des Malcolm ("Mura felice").
Enttäuschend blass dagegen die komischen Arien der Angelina bzw. Isabella aus den Rossini-Werken La Cenerentola und L´italiana in Algeri. Die kecke junge Frau ist Genaux´ Paraderolle nicht. Es fehlt der Darstellung jenes Übermaß an Eigensinn, Esprit und lebensfroher Kühnheit, wie sie in den Figuren angelegt sind. All das scheint zwar hier und da kurz auf, wird aber nicht konsequent durchgehalten. Da wird kein musikalisches Feuerwerk abgebrannt, das auch Begeisterung beim Zuhören entzünden würde.
Dass sie es durchaus besser kann, beweist die Sängerin leider erst in der Schlußarie, dem unvermeidlichen "Una voce poco fa" aus Rossinis Barbier.
DAS ORCHESTER: EIN ÄRGERNIS
Eine nicht auszurottende Unsitte ist es, Star-Recitals von zweitklassigen Orchestern begleiten zu lassen. Ein solches ist das Ensemble Orchestral de Paris eigentlich nicht, doch agiert es auf dieser Aufnahme unglücklicherweise so. Dirigent John Nelson begnügt sich damit, die Noten korrekt vom Blatt spielen zu lassen. Das aber reicht, zumal bei Rossini, nicht hin. Da braucht es schon etwas mehr Spielwitz und Inspiration, um die Musik zum Leuchten zu bringen. Hinzu kommt, dass die Aufnahme technisch nicht den höchsten Ansprüchen genügen kann. Das Klangbild wirkt eng, die Streicher sind nur gedeckelt zu hören, während die Stimme der Sängerin durchaus zufriedenstellend eingefangen ist.
Sven Kerkhoff
Trackliste
Donizetti: Arien aus Lucrezia Borgia, Anna Bolena, Alahor in Granata
Besetzung
Ensemble Orchestral de Paris
Ltg.: John Nelson
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |