Reviews
Canti del Capricorno
Info
Musikrichtung:
Neue Musik vokal
VÖ: 01.05.2007 Wergo / Note 1 CD (AD DDD 2006) / Best. Nr. WER 6686 2 Gesamtspielzeit: 58:12 |
SCHAMANIN
Der Komponist als Medium: Gicacinto Seclsi († 1988) hat sich trotz seiner traditionellen Ausbildung mehr als spiritueller Klang-Empfänger denn als autonomer Komponist verstanden. Stundenlang improvisierte er das, was später meist von Mitarbeitern in Partiturform gebracht wurde, auf einem eigens dafür angefertigten Instrument. Dass andere die Ergebnisse in Noten setzten, hat ihm den Ruf eines Scharlatans eingebracht.
Mangelnde Originalität kann man ihm dennoch nicht vorwerfen: Seine im wahrsten Sinne „eintönige“ Musik erforscht das Innere des Tons und entdeckt in ihm einen schier unendlichen Mikrokosmos feinster klangfarblicher und dynamischer Nuancen. Nach Jahrzehnten der Nichtbeachtung wurden Scelsis Klangwelten in den 1980er Jahren plötzlich auch von einem großen Publikum entdeckt und sind inzwischen gut auf Platte dokumentiert (s. Blick zurück).
Neben aufwändig besetzten Orchesterwerken hat Scelsi eine Vielzahl von Kammermusiken hinterlassen. Darunter nehmen die zwischen 1962 und 1972 für Solostimme und gelegentliche Instrumentalbegleitung entstandenen zwanzig Canti del Capricorno, die Gesänge des Steinbocks, eine Sonderstellung ein. Sie wären undenkbar ohne ihre prominenteste Interpretin, die zugleich als Muse des Komponisten wesentlich an der Entstehung beteiligt war: Michiko Hirayama. Hirayama hatte ihre Karriere als Opernsängerin begonnen, bevor sie durch Scelsi die Neue Musik für sich entdeckte und darüber auch ihre ureigene Stimme fand.
Eine erste Aufnahme von damals noch 19 Stücken entstand bereits 1969. Ihre Veröffentlichung Ende der 80er Jahre beim Label Wergo machte die zwischen Gesang und Geräusch angesiedelte Musik auf einen Schlag bekannt. Ein unbedarfter Hörer könnte sie für Dokumente musikethnologischer Forschung halten: Sie bewegt sich zwischen ekstatischem "Sprechen", Schreien, Singen, Hauchen, Stammeln, Säuseln, Flüstern und Raunen. So gesehen ist sie also mehr magische Beschwörung des Klanges als klassischer Gesang. Eine moderne Schamanenmusik.
2006 hat Hirayama das Werk noch einmal aufgenommen. Die inzwischen 82jährige Sängerin präsentiert den Zyklus mit nach wie vor eindrucksvoller vokaler Energie und unerschöpflicher gestalterischer Fantasie. Ihr Alter hört man der Stimme durchaus an. Aber es macht sich nicht so sehr durch stimmliche Grenzen als durch interpretatorische Reife und noch größere Differenzierung bemerkbar. Das Raue und Brüchige wird von der Hirayama als ein mögliches Gestaltungsmittel bewusst miteinbezogen. Das steigert noch die auratische und geisterhafte Erscheinung der Musik. Vollständigkeit und eine hervorragende Klangqualität sind weitere Pluspunkte der Neueinspielung.
Georg Henkel
Besetzung
Ulrich Krieger: Saxophon
Matthias Bauer: Kontrabass
Jürgen Grözinger & Roland Neffe: Schlagzeug
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |