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Die Soldaten
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MEILENSTEIN
In dieser Inszenierung erweist sich die über hundert Meter lange Jahrhunderthalle Bochum als perfekter Spielort für Bernd Alois Zimmermanns monumentales Musiktheater Die Soldaten. Zumindest in der ersten Fassung seiner lange Zeit als unspielbar geltenden Oper hatte der Komponist eine Art kugelförmige Simultanbühne vorgesehen, in dessen Mitte das Publikum sitzen sollte, während darum herum das Drama in mehreren parallelen Szenarien seinen Lauf nimmt.
Bei Regisseur David Pountney sind die einzelnen Szenen stattdessen auf einer drei Meter breiten und 113 Meter langen Rampe angesiedelt, wobei das Publikum auf einer mobilen Tribüne daran entlang fährt und so dem Geschehen aus immer neuen Perspektiven folgt. Auch für das Auge der Kamera ergeben sich immer wieder neue Aufsichten und Einblicke, die von der Regie für die DVD zu einer dynamischen Bilderfolge geschnitten wurden.
Zimmermanns Fassung des gleichnamigen Dramas von J. M. R. Lenz aus dem 18. Jahrhundert macht aus dessen sozialkritischer Betrachtung des Soldatenstandes ein apokalyptisches Untergangsszenario. Die Geschichte der Bürgerstochter Marie, die vom unbescholtenden Mädchen erst zum Soldatenliebchen und schließlich zur Straßenhure herabsinkt, wird zum Dreh- und Angelpunkt einer Schuldgeschichte, in die alle Beteiligten unlösbar als Täter und Opfer verstrickt sind.
Zimmermann vertonte seine Vorlage mit einer entsprechend radikalen, nur scheinbar technizistischen Musiksprache. Denn unter ihrer seriellen Oberfläche erweist sich die oft so zerrissene Musik mit ihren gewaltigen Klangmassierungen und grellen Kontrapunkten als minuziös gestaltet, sensibel ausgehört und orchestriert. Es gibt keine Nebensächlichkeiten, keine „zufälligen“ Noten. Gleiches gilt für die ausdrucksvollen Gesangspartien, eine Art abstrakter, dabei ausgesprochen wortbezogener Belcanto.
Letzteren meistern die Ausführenden dieser Produktion, allen voran Claudia Barainsky als Marie, mit Bravour. Die Diktion ist gestochen, so dass man selbst im dichten Klanggetümmel die meisten Worte versteht. Nicht minder eindrucksvoll die Orchesterleistung. Steven Sloane hält den überdimensionalen Klangapparat außerordentlich flexibel, lässt dabei sinnlich und packend musizieren. So ist das Werk trotz mancher Verhaftungen im Klima der 1960er Jahre auch für das zeitgenössische Musiktheater zurückzugewinnen! Das prägnante, hochtönende Klangbild sorgt für gute Durchhörbarkeit.
Dieser Mitschnitt von der Ruhrtriennale 2006 ist eine perfekte Ergänzung zur vorzüglichen Stuttgarter Produktion von 1990, die ich hier bereits vorgestellt habe (auf CD (Teldec/Warner Classics) und DVD (arthaus/Naxos) erhältlich).
Georg Henkel
Trackliste
Besetzung
Claudia Barainsky, Marie
Katharina Peetz, Charlotte
Hanna Schwarz, Weseners Mutter
Claudio Otelli, Stolzius
Kathryn Harries, Stolzius’ Mutter
Peter Hoare, Desportes
u. a.
Bochumer Sinfoniker
Ltg. Steven Sloane
Regie: David Pountney
Bühne: Robert Innes Hopkins
Kostüme: Marie-Jeanne Lecca
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |