Reviews
Party dress
Info
Musikrichtung:
Weltmusik / Polka
VÖ: 07.2006 (Rink Entertainment) Gesamtspielzeit: 50:20 Internet: http://www.lynnmarie.net |
Bereits vier Mal war LynnMarie für der Grammy nominiert, und zwar in der Kategorie „Bestes Polka Album“. Polka-Album? Ja, es gibt sie wirklich noch, die handgemachte Musik mit Akkordeon und Rhythmusinstrumenten, und besonders in den USA ist sie nach wie vor sehr beliebt. Vor zwei Jahren gab es im Pop-Bereich sogar die „Turbo-Polka“, die auf der Tanzfläche für richtig gute Stimmung sorgte.
Der Opener „Happy Feet“ enthält durch die Musette-Sounds des Akkordeons angedeuteten französischen Charme und ist im Bereich leichter Popsounds zuhause, die man zeitlich in die 70er packen würde. Auch vom Klassiker „Oh, lonesome me“ darf man keine allzu knackige Version erwarten, denn schließlich ist das Knopfakkordeon nicht unbedingt einer E-Gitarre gleichzusetzen. Trotzdem verbreitet diese Version fröhliche Musik, die schlichtweg gute Laune verursacht. Und hiermit dürfte die Intention dieser Musikrichtung auch gefunden sein. Gesangliche Unterstützung gibt es auch, z.B. bei „Polka till the cows come home“ von Roy Benson.
Etwas ruhiger lässt es die junge Dame, die von Jay Leno „Dixie Chick des Akkordeons“ genannt wurde, bei „I still cry“ angehen und lässt ihre Stimme im 6/8-Rhythmus sanft erklingen, während ihr Instrument nur im Hintergrund dezent agiert, und sofort ist die volkstümliche Schiene verlassen. „Blue moon“, ebenfalls ruhiger Klassiker, wird trotz des sehr harmonischen Gesangs ab dem ersten Refrain in relativ unpassender Geschwindigkeit über den Nachthimmel gejagt. Bei dieser Hatz geht natürlich die romantische Stimmung flöten. Als musikalisch übersichtlicher Mitklatsch-Song - Jack White hätte seine Freude daran - kommt „No beer today“ aus den Boxen, wobei sogar bajuwarische Akkordeon-Klänge zu hören sind, die sonst im Gefolge von Silbereisen und Co. auf die Hörerschaft niedersausen.
„Rainy day waltz“ ist ein ruhiges Instrumentalstück, das an „Biscaya“ von James Last erinnert und ohne Probleme in die Fahrtstuhl-Charts gehört. Harmonisch nett gemacht und absolute Ruhe ausstrahlend, bevor mit „Is anybody goin´ to San Antone?“ wieder gute Laune und TexMex-Party angesagt ist. Kein Wunder, denn die Texas Tornados, Ableger des legendären Sir Douglas Quintetts, haben hiermit schon die Luft brennen lassen. Passenderweise wird der Titel gesungen von einem männlichen Bandmitglied der Boxhounds. Bei „That´s what I like about the north“ rechnet der Norden mit den Südstaaten ab und präsentiert Unmengen an Vorurteilen, gekleidet in einen simplen Sprechgesang. Musikalisch zu ignorieren, textlich aber durchaus interessant (solange man kein Südstaatler ist). Mit „Glas Harmonike“ kommt ein Walzer in slowenischer Sprache zutage, bevor „Party dress“ es zum ersten Mal auf der CD so richtig abgehen lässt, denn Rock und Rock´n´Roll sind auch mit einem Akkordeon möglich. Es zuckt im Fuß und die Energie fließt. Richtig gut gemacht, und sogar eine E-Gitarre prescht nach vorne.
Die Songs Nr. 12 bis 14 laufen unter der Rubrik „European Mixes“ und beginnen mit „Stuck in the middle with you“, dem 70er-Jahre-Hit von Stealers Wheel, das mit gut drivendem Rhythmus kaum hinter dem Original oder anderen Coverversionen hinterherhinkt. Anscheinend ist man der Ansicht, die Polka dem europäischen Publikum nur in poppig-rockiger Verkleidung anbieten zu können, denn auch „Zivio“ hat unüberhörbaren Hang zur Popmusik (der 70er und 80er) und eignet sich sogar auf Tanzflächen. Hierbei kommt auch gleich Alpenpop wie z.B. von den Zillertaler Schürzenjägern in Erinnerung, wo Pop und Volkstümlichkeit nah zusammen lagen. Ebenfalls in diesen Bereich gehört „Squeeze box“, und insgesamt war die Bezeichnung als europäische Schnitte sicher treffend gewählt, da die Ohren der alten Welt der amerikanischen Polka an sich nicht so viel abgewinnen können. Als Bonus-Track kommt noch eine Instrumental-Version des Tennessee-Waltz zum Vorschein, die sehr zart und gefühlvoll gespielt wird und zum Ende des Albums noch einmal behagliche Wärme erzeugt.
Fazit:
Die Polka ist ein Musikstil, den man in Deutschland eigentlich nur noch in volkstümlichen Musiksendungen findet, wo er zumeist simpel strukturiert und mitklatschfähig präsentiert wird. LynnMarie hat jedoch mit ihrem Album Party dress den Blickwinkel um einiges erweitert, denn sie beweist, dass man auch poppige Musik mit dem Knopfakkordeon begleiten , hervorragende Instrumentals produzieren, aber auch einfache Lieder präsentieren, aber auch versauen kann. Wer sich dieser Spielart vorsichtig nähern möchte, ist mit diesem Album sicher sehr gut bedient, denn auch wenn man die Liebe zum Polka nicht findet, sind doch viele Songs einfach nur gut anzuhören und man ist nicht auf voller Spiellänge enttäuscht.
Lothar Heising
Trackliste
1 | Happy feet | 2:18 |
2 | Oh lonesome me | 2:17 |
3 | Polka till the cows come home | 3:14 |
4 | I still cry | 3:43 |
5 | Blue Moon | 3:30 |
6 | No beer today | 3:40 |
7 | Rainy day waltz | 3:43 |
8 | Is anybody goin´ to San Antone? | 3:38 |
9 | That´s what I like about the north | 3:21 |
10 | Glas Harmonike | 3:00 |
11 | Party dress | 3:34 |
12 | Stuck in the middle with you | 3:24 |
13 | Zivio | 3:32 |
14 | Squeeze box | 3:25 |
15 | Tennessee waltz | 4:01 |
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |