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Sinfonien Nr. 38 „Prager“ & 41 „Jupiter“
Info
Musikrichtung:
Klassik Sinfonie
VÖ: 12.01.2007 harmonia mundi / harmonia mundi CD (AD 2006) / Best. Nr. HMC 901958 Gesamtspielzeit: 68:28 |
OPER OHNE WORTE
Was der Pianist Glenn Gould an den späten Klaviersonaten W. A Mozarts verabscheute, war deren „Theatralik“. Konsequent verweigerte sich Gould diesem Element. Er überspielte es, indem er es beispielsweise in dynamischer Monotonie und dem mechanischem Geratter der Albertibässe auflöste.
Allerdings: Theatralisches - oder weniger despektierlich gesprochen: Opernhaftes, findet sich nicht nur in der Klavier-, sondern überhaupt in Mozarts reifer Instrumentalmusik. Dabei erschöpft sich deren Dramatik nicht nur in den von Gould geschmähten Sforzati oder anderen „äußeren“ Effekten. Vielmehr ist es die Art und Weise, wie Mozart z. B. in seinen späten Sinfonien disparate Themen und Instrumentalfarben miteinander wie Personen auf einer imaginären Klangbühne interagieren lässt, die seine Musik bereits in sich dramatisch erscheinen lässt.
René Jacobs ist gewiss kein Puritaner im Geiste Goulds. Der belgische Sänger und Dirigent kommt von der Vokalmusik her. Seine Erfahrungen mit Mozarts Da-Ponte-Opern haben hörbar die Auseinandersetzung mit zwei späten Mozart-Sinfonien inspiriert: Die Prager- und die Jupiter-Sinfonie werden bei ihm und dem großartig disponierten Freiburger Barockorchester wahrhaft zu instrumentalen Minidramen, gleichsam „Opern ohne Worte“.
Jacobs und sein 35-Musiker/innen starkes „Solistenensemble“ formen aus Klangfarben und Motiven lebendige Situationen und Charaktere, die Auf- und Abtreten, sich in musikalische Dispute verwickeln, einander in die Parade fahren, wechselseitige Kommentare abgeben, hier und da ein Tänzchen wagen und zu Überraschung und Entzücken der Zuhörer sozusagen auf offenem Podium „Maske“ (Ausdruck) und „Kostümierung“ (Orchestrierung) wechseln. Wie in Mozarts Opern treffen dabei Licht und Schatten, Freude und Leid, Humor und Tragik auf engstem Raum aufeinander.
Das alles ist bei dieser Einspielung dank des transparenten Klangbildes und der ungemein differenzierten Artikulation, Tempogestaltung und Dynamik von allergrößter Plastizität und Vitalität. Noch dem blitzgeschwinden finalen Presto der Sinfonie Nr. 38 droht zu keinem Moment der Atem auszugehen, hier sitzt jede Phrase. Überhaupt profitiert das in malerischen und dramatischen Stimmungen schwelgende sinfonische Gegenstück zum Don Giovanni am deutlichsten von der Opernperspektive der Interpreten.
Sehr schön gelingen auch die langsamen Sätze: Wie viel geigenselige Larmoyanz steckt da doch in manch älterer, konventioneller Einspielung! Hier dagegen: Witzige Gesten, die z. B. die melodische Entwicklung im Andante der Sinfonie Nr. 41 kontrapunktieren. Nicht alles ist neu, schon Nikolaus Harnoncourt oder Jos van Immerseel haben hier Maßstäbe gesetzt. Jacobs & Co. schweißen allerdings all ihre kleinen oder großen Entdeckungen sehr überzeugend zu einem sinfonischen Organismus zusammen. Das imponierende Finale der Jupiter-Sinfonie, dem die Interpreten hier jeden nur vordergründig pompösen Effekt versagen, könnte man sich weiträumiger vorstellen. Es wirkt aufgrund der Detailfreudigkeit manchmal etwas episodenhaft.
Doch gerade weil Jacobs und das FBO Mozarts geniale Kombinatorik von scheinbar Unvereinbarem derart lustvoll offenlegen, tritt die Modernität der Musik radikaler denn je zu Tage. Die kontrapunktische tour de force am Schluss habe ich auf jeden Fall selten so als Gipfelsturm erlebt. Mozart zum Entspannen ist dies jedenfalls nicht.
Kann es sein, dass die gegenwärtige „historisch informierte Aufführungspraxis“ dabei ist, in Wahrheit nicht historische Klangbilder zu rekonstruieren, sondern vielmehr die Musik des 20. Jahrhunderts in der (sogenannten) Alten Musik zu entdecken?
Georg Henkel
Trackliste
01 Adagio – Allegro 15:59
02 Andante 09:53
03 Finale. Presto 06:42
Sinfonie Nr. 41 „Jupiter“
04 Allegro vivace 10:38
05 Andante cantabile 09:52
06 Menuetto. Allegretto – Trio 03:23
07 Molto Allegro 12:01
Besetzung
Ltg. René Jacobs
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |