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Improvisando
Info
Musikrichtung:
Improvisation
VÖ: 01.11.2006 Glossa / Note 1 CD (AD DDD 2005) / Best. Nr. GCP P30409 Gesamtspielzeit: 78:59 |
BAROCKER JAZZ
Streng und nach innen gekehrt wirkt Paolo Pandolfo auf dem schwarzweißen Coverfoto seiner neuen CD. Doch die Grafiker des oficina tresminutos lassen knallige Farbklekser wie einen Blütenkranz aus seinen Kopf herausschweben. So ähnlich verhält es sich auch mit der Musik auf der Platte Improvisando. Das eher formelhafte und unscheinbare musikalische Ausgangsmaterial, barocke Melodien und ostinate Bässe, wird von Pandolfo & Co. über 80 Minuten zu einer enorm vielgestaltigen und farbigen Musik ausgesponnen.
In seinem klugen Essay verweist Pandolfo auf die altmeisterliche Traditionen der Improvisation, deren Freiheiten eben nicht mit Primitivität und Willkür verwechselt werden dürften. Wissen und Verstehen, so Pandolfo mit Berufung auf Platon, sei keine Sache der bloßen Aneignung von Informationen aus irgendwelchen Handbüchern, sondern komme von lebendiger Erfahrung. Und die zeichne sich bei der Improvisation durch eine außerordentliche Art von kreativer Ekstase aus.
In der so genannten ernsten klassischen Musik bedarf es offenbar immer noch solch einer philosophischen Begründung für das freie Spiel der musikalischen Kräfte. Dabei wurzelt die „Klassik“ viel tiefer in der Improvisation, als uns die (scheinbar) fix und fertigen Partituren der großen Komponisten glauben machen. Vor allem in der Alten Musik geht ohne das schöpferische Zutun der Musiker nichts.
Erfahrung und Spontaneität Pandolfos und seine Kolleg/innen sorgen dafür, dass die barocken Setzlinge die buntesten (Stil-)Blüten treiben. Das weit ausgreifende Arpeggio des ganzen Ensembles zu Beginn steht wie eine Verheißung am Anfang, Pandolfos Gambe windet sich von dort aus mit ausdrucksvollen Gesten durch den dichten mehrstimmigen Satz einer Toccata. Weiter geht es mit einer temperamentvollen Improvisation über Las Vacas. Hier liegt der Swing des 20. Jahrhundert sozusagen gleich um die Ecke. Dagegen ist das von der Theorbe intonierte Passamezzo … nei boschi del Re mit seinen chromatischen Blue-Notes von ergreifender Melancholie. Die La-Spagna-Variationen besitzen durch die düstere Schlagzeuggrundierung zunächst einen fast tragischen Charakter, bis die Stimmung in dem im Schlussteil von Kastagnetten vorangetriebenen Satz wieder in Ausgelassenheit umkippt. Exotische Farben versetzen das La-Folia-Thema an die Grenzen von Orient und Oxident.
Das Ensemble beschränkt sich übrigens nicht nur auf rein instrumentale Improvisationen: Bei Anchor che col partire und Doulce Mémoire improvisiert Pandolfo zu den alten Liedmelodien (mit betörendem Sopran: Céline Scheen) einen schwerblütigen, harmonisch und rhythmisch reichen Kontrapunkt.
Zwar gibt Pandolfo als Initiator des Projekts mit seiner Gambe den Ton an. Aber wie es sich für eine gute Jazz-Platte gehört, bekommen alle Musiker Gelegenheit zu ausgiebigen Solo-Einlagen.
Das süffige, präsente Klangbild steigert das Vergnügen noch.
Georg Henkel
Besetzung
Guido Morini: Cemablo und Orgel
Thomas Boysen: Theorbe, Vihuela, Barockgitarre
Aendrea De Carlo: Violone
Álvaro Carrido: Schlagzeug
Céline Sheen: Sopran
Marie Gelis: Orgel
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |