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Winterreise
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SCHUBERTKONZEPTE
Eine Winterreise, bei der die Stücke in genau der von Franz Schubert vorgesehen Tonart musiziert werden, haben der belgische Pianist Arthur Schoonderwoerd und der deutsche Tenor Hans Jörg Mammel vorgelegt. Denn, so der Sänger im Beiheft, Schubert habe wie nur wenige Komponisten die Tonarten mit ihrem jeweiligen Charakter als bewusstes Ausdrucksmittel gewählt und innerhalb des Liederzyklus architektonische Bezüge hergestellt, die es zu berücksichtigen gelte.
Dass diese seriöse Treue zum Urtext auch auf einem historischen Fortepiano vom Anfang des 19. Jahrhundert realisiert wird, versteht sich bei einem reflektierten Interpreten wie Schoonderwoerd quasi von selbst. Dass damit über gestalterische Entscheidungen im Großen wie im Kleinen noch nichts gesagt ist - ein Instrument ist ein Instrument ist ein Instrument -, versteht sich ebenfalls.
Wie unterschiedlich die Ergebnisse ausfallen können, zeigt der direkte Vergleich mit dem Klavierpart in der ebenfalls historisch informierten Einspielung von Andreas Staier und Christoph Pregadien (Teldec/Warner). Bei aller Freude am zupackend dargebotenen Detail wirkt Staiers Spiel doch diskreter und beschränkt sich im klassischen Sinne auf eine, wenngleich atmosphärisch ausgesprochen dichte, Belgeitung. Schoonderwoerd macht aus dem Klavierpart eine gleichberechtigte, manchmal aber auch dominante Stimme, deren kommentierenden, auch gegenläufigen Charakter zum Vokalpart er pointiert herausarbeitet.
Die natürlichen, v. a. dynamischen Grenzen des Instruments ermutigen Schoonderwoerd zu einem selbstbewussten Zugriff ganz im expressiven Geist von Schuberts Musik: kraftvolle Sforzati, kernig grummelnde Bässe, nebelhaft gedämpfte Töne, prägnante, manchmal auch hart gestanzte, geradezu perkussive Gesten, gestochene Läufe in den hohen Registern. So entfaltet sich eine geradezu orchestrale Farbpalette.
Doch nicht immer bleiben die Proportionen im Verhältnis Singstimme gewahrt. Hans Jörg Mammels Vortrag wirkt stellenweise zu verhalten. Er vollzieht die expressiven Wendungen des Klaviers nicht mit, sondern hält eher retardierend dagegen, wenn er die Melodiebögen in großer Ruhe ausschwingen lässt und sich im Ausdruck zurücknimmt. Mit der rebellischen, durchaus aggressiven Rhethorik von Text und Musik korrespondiert diese Beschränkung nicht immer. So übernimmt das Klavier beim Ausdruck nicht selten die Führung. Eine irritierende, nicht unbedingt überzeugende Umkehrung der Verhältnisse.
Mammels lichter Tenor besticht vor allem bei den sehr verinnerlichten Stücken, die abgründige Traurigkeit oder totengleiche Erstarrung besingen. Vokale Energie setzt er vor allem im zweiten Teil frei; hier findet sich ein herberer, schmerzhafterer Ton und expressive Anspannung, die freilich den melodischen Fluss nie nachhaltig stört. Das ist weit entfernt von den ebenso packenden wie fragwürdigen Manierismen eines Ian Bostridge (EMI).
Klanglich ist die Aufnahme leider enttäuschend: Die Akustik des Schweizer Studios erinnert an eine Garage und hüllt vor allem Mammels Stimme in einen manchmal etwas metallischen Hall, während das sehr direkt aufgenommene Fortepiano trockener klingt: so, als wären das zwei separate Aufnahmen erst nachträglich zusammengefügt worden.
Fazit: eine Aufnahme der Winterreise, die bei aller Konsequenz und Geschlossenheit des interessanten Konzepts zu keiner wirklich befriedigenden Balance zwischen Klavier und Singstimme findet.
Georg Henkel
Besetzung
Arthur Schoonderwoerd, Fortepiano Johann Fritz (ca. 1810)
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |