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Mazzocchi, D. (Correas)

Madrigali e daloghi

Info Musikrichtung: Barock vokal VÖ: 01.09.2006 Pan Classic / Note 1 CD (AD DDD 2005) / Best. Nr. 10 188 Gesamtspielzeit: 67:05 Internet: Les Paladins

Giovanni Lorenzo Berninis berühmte römische Skulptur Die Heilige Theresa von Avila in der Ekstase stürzt den modernen Betrachter in einen unauflöslichen Zwiespalt: Erlebt die bewusstlos und schmachtend hingestreckte Mystikerin nun einen spirituellen oder einen sexuellen Höhepunkt? Im prüden 19. Jahrhundert wünschte sich manch ein Kunstkritiker das Bildwerk in ein Freudenhaus verbannt - es störe nachhaltig die reine Andacht.
Im 17. Jahrhundert entsprach dagegen die umstandsloe Verbindung körperlicher und geistiger Ekstasen einem religiösen Lebensgefühl, das in allen irdischen Vorgängen Abbilder himmlischer Ereignisse erkennen konnte. Theresa hat diesen Zusammenfall des scheinbar Gegensätzlichen in ihren privaten Aufzeichnungen so beschrieben: Die Wonne der mystischen Vereinigung mit Gott sei keine körperlicher Schmerz, sondern ein geistiger, wenngleich der Körper an ihm in nicht geringem Maße teilnehme. „Der Liebesverkehr, der nunmehr zwischen der Seele und Gott stattfindet, ist so süß, dass ich zur Güte des Herrn flehte, er wollte ihn dem zu kosten geben, der etwa meint, ich lüge hierin.“

Einen vergleichbar ambivalenten Eindruck erwecken die auf dieser CD vorgestellten Kompositionen Domenico Mazzocchis (1592-1665), einem begabten Kleriker-Komponisten aus dem frühbarocken Rom. Die musikalischen Mittel kennt man aus den Werken prominenterer Zeitgenossen wie Claudio Monteverdi oder Giacomo Carissimi. Mazzocchi wendet den generalbassbegleiteten Sologesang, das ausdrucksvolle Arioso oder das alte Satztechniken einbeziehende Konzertieren von Singstimmen und Instrumenten mit viel Geschick an. In seinen weltlichen und geistlichen Werken erreicht er damit eben jene Verschmelzung von Sinnlichkeit und Entrückung, die die Unterscheidung von sakraler und säkularer Musik beim ersten Hinhören so schwierig macht. Im Grunde gibt nur der Text Aufschluss über den eher religiösen oder den eher profanen Kontext der Musik. Unterhaltsam im Sinne intellektuell-sinnlicher Verführung sind bei Mazzocchi beide Genres. So schlägt eine zunächst eher streng deklamierte tränenreiche Klage der Heiligen Magdalena unversehens in koloraturschwangere aufgekratze Sakral-Erotik um. Dies ist nicht die blasse Büßerheilige des 19. Jahrhunderts, sondern eine vitale und beseelte Frau, die sich mit ihrer ganzen Existenz von Gott ergreifen lässt. Das macht sie hier so attraktiv und zugleich irritierend. Denn Frömmigkeit umgibt in unserer Vorstellung meist die Aura des Krampfigen und Verklemmten. Entgrenzung (auch leibliche), ekstatisches Klagen und Jubeln passen nicht so in unser aufgeklärtes und säkularisiertes Religionsbild. Dass irdische und himmlische Liebe keinen Gegensatz, sondern das erstere die Spiegelung des letzteren ist, kann man in der Musik des frühen 17. Jahrhunderts erfahren.

Les Paladins bestätigen mit dieser Einspielung den guten Ruf, den sie sich als französisches Ensemble für die Musik des Früh- und Hochbarock gemacht haben. Unter der Leitung von Jérôme Correas wird lebendig und ausdrucksvoll musiziert. Der verspielte Witz in den weltlichen Stücken kommt ebenso zur Geltung wie die emotionale Erregung in den geistlichen Konzerten und Arien. Der kirchliche Aufnahmeort sorgt für ein halliges, eher weiches Klangbild. Manchmal etwas zu stark ist mir das Vibrato bei den Sopranen.
Ein besonderes Lob verdient der anspruchsvolle kultur- und musikgeschichtliche Essay von Olivier Rouvière.

Georg Henkel