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Oracula. Neun Lektionen aus dem Buch Hiob / Prophetiae Sibyllarum
Info
Musikrichtung:
Renaissance Vokal
VÖ: 01.07,2006 Alpha / Note 1 CD (AD DDD 2005) / Best. Nr. Alpha 095 Gesamtspielzeit: 57:12 |
SINNENVERWIRREND UND ENIGMATISCH
Die enigmatische Vokalkunst der späten Renaissance hatte in Orlande de Lassus (Orlando di Lasso) einen ihrer inspiriertesten und vielseitigsten Vertreter. Roberto Festa und sein siebenköpfiges Ensemble Daedalus widmen sich auf dieser Aufnahme zweier Werkzyklen, die exemplarisch sind für die reife, harmonisch kühne Tonsprache Lassus’.
Vor allem die Prophetiae Sibyllarum über christlich inspirierte Weissagungen antiker Seherinnen, den berühmt-berüchtigten Sibyllen, haben den Komponisten zu einer ausgesprochen chromatischen Musik inspiriert. Die deklamatorisch strenge Behandlung der lateinischen Texte hat dabei einen akkordischen Satz zur Folge und begünstigt die eher flächige harmonische Wirkung der Musik
Vorangestellt sind den Sibyllen-Sprüchen neun gesungenen Lesungen aus dem Buch Hiob. Auch hier steht das humanistische Ideal der Textverständlichkeit im Vordergrund. So wirkt die bei vielen Zeitgenossen immer noch üppig wuchernde Mehrstimmigkeit bei Lassus wie auf ihren glühenden Kern konzentriert. Es ist deshalb vor allem die Harmonik, die in beiden Fällen den Gehalt des Textes zum Ausdruck bringt. Die Vorlagen werden gleichsam mit einer ausgeklügelten Farb- und Lichtregie vom Komponisten ausgemalt.
Daedalus überzeugt durch einen tonschönen, geschlossenen Vortrag, der viel Raum für die Entfaltung vielfältiger klanglicher und dynamischer Nuancen lässt. Aus der Mischung weiblicher und männlicher Altstimmen resultiert eine leicht körnige Textur. Diese verleiht den hohen Registern eine spezifische Färbung und hebt den Vortrag vom ätherisch schönen, mitunter aber auch etwas glatten Renaissance-Einheitsklang ab, der heute gemeinhin als Ideal gilt.
Festas ausgefeilte Interpretation führt Lassus' Kunst in aller Klarheit, aber auch sinnenbetörenden vor-barocken Dramatik vor Ohren: kompositorisches Kalkül und Sinnlichkeit gehen eine raffinierte Synthese ein. Als der Komponist 1594 starb, stand die nächste Generation schon bereit, um die Tür zu einer neuen musikalischen Epoche zu öffnen. Dass die Jüngeren aus einem breiten Strom der Tradition schöpfen konnten und die Farben für die Ausstattung der neuen klingenden Kunstkammern sozusagen schon gemischt waren, führt diese empfehlenswerte Produktion eindrucksvoll vor.
Georg Henkel
Trackliste
10-22 Prophetiae Sibyllarum
Besetzung
Audrey Burgener – Pascal Bertin (Alt)
Josep Benet – Bernd Lambauer (Tenor)
Josep Cabré (Bariton)
Ltg. Roberto Festa
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |