Reviews
’… The Deceitful Face of Hope and of Despair’ - Sieben Worte
Info
Musikrichtung:
Neue Musik
VÖ: 24.03.2006 BIS / Klassik Center Kassel SACD (AD 2005) / Best. Nr. BIS-SACD-1449 Gesamtspielzeit: 60:19 |
ATEM UND PULS
Die russisch-tartarische Komponistin Sofia Gubaidulina hat 2005 der Flötistin Sharon Bezaly ein Konzert für Flöte und Orchester gewidmet, das diese nun mit dem Göteborger Symphonieorchester unter der Leitung von Mario Venzago eingespielt hat. Der Titel ’… The Deceitful Face of hope and of Despair’ ist einem Gedicht von T. S. Eliot entnommen. Musikalisch illustriert die Komponistin jedoch nicht etwa dieses „trügerische Antlitz der Hoffnung und Verzweiflung“, sondern setzt auf handfeste musikalische Phänomene. Die jedoch können als Metapher für die Hoffnung und Verzweiflung dienen: Das langsame Erscheinen eines Tones, der gleichsam aus dem (fühlbaren) Pulsieren der tiefsten Orchestertiefen herauswächst (Hoffnung) und wieder darin verschwindet - zuletzt sinkt auch das Pulsieren ins Nichts ab (Verzweiflung).
Gleich der minutenlange Pianissimo-Beginn des Werks, der zunächst zum Drehen des Lautstärkereglers reizt, demonstriert diese Entstehung und Verflüchtigung des hörbaren Tones. Dieser Abschnitt mündet in eine längere Introduktion, der zum ersten Einsatz der Flöte überleitet. Der Orchesterpart ist durch die ritualhafte Wiederholung von klangmassiven Blöcken gekennzeichnet, die auf den nachtschwarzen Beginn des einsätzigen Werks zurückverweisen. Schlagzeuggepanzerte Blecheinsätze wechseln mit feingesponnenen, geradezu kammermusikalischen Abschnitten. Typisch ist die Verbindung einer ausgesprochen sinnlichen Klangfarbenmusik mit vibrierender Kontrapunktik. Bach und Weber, Ligeti und Schostakowitsch sind die Pole, zwischen denen sich Gubaidulina bewegt, dabei zu ganz eigenen, exotischen Lösungen findet.
Trotz ihrer anspruchsvollen, allerlei Klangeffekte auskostenden Partie ist die Flöte eher Teil des Ensembles denn konzertierendes Gegenüber. Für Bezaly wurde das Werk maßgeschneidert: Spielend wird sie den hohen Anforderungen gerecht.
Fast schon ein Klassiker ist die umfangreiche „Zugabe“ Sieben Worte für Cello, Bayan (das russische Knopfakkordeon) und Streicher. Torleif Thedéen und Mie Miki heißen die Solisten in diesem Fall; sie musizieren die instrumentalen Meditationen über die sieben letzten Worte Christi so, dass nicht zuletzt die physische Dimension des Leidens - schweres Atmen, der Zusammenbruch des Körpers, die Agonie bis hin zum Todesschrei - sehr deutlich artikuliert wird. Eindrücklich gelingt der Wechsel von verhaltenen, mitunter sphärenhaften Klängen der Violinen und brutal-drängender Streicher-Attacke mit wilden Ton-"Kreuzigungen" und messerscharfen Glissandi von Bajan und Cello.
Die durchhörbare, dabei klangstarke Akustik sorgt in beiden dafür, dass die Intentionen der Komponistin bestens rüberkommen.
Georg Henkel
Trackliste
02-08 Sieben Worte 33:51
Besetzung
Torleif Thedéen: Cello
Mie Mik: Bajan
Göteborger Symphonieorchester
Ltg.Mario Venzago
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |