Reviews

Erland Cooper

Carve The Runes Then Be Content With Silence

Info Musikrichtung: Classic Crossover VÖ: 20.09.2024 (Decca/Universal) Gesamtspielzeit: 63:24 Internet: https://www.erlandcooper.com/home https://www.promotion-werft.de/ https://www.universalmusic.com/label/decca-records/

Welch ein Albumtitel! Übersetzt vielleicht in etwa so: "Schnitzen Sie die Runen und geben Sie sich dann mit der Stille zufrieden." (?) Nicht nur das ist eigentümlich, sondern auch die Musik mitunter. Vogelzwitschern, darüber Streicher und eine Solo-Violine, dann plötzlich, "out of the blue", ertönt bei etwa Minute Eins eine Stimme und scheint etwas vorzulesen. Eigentlich ist die "Schublade" klar und offensichtlich - klassische Musik, wohl ein Violinkonzert.

Gawain Erland Cooper (Jahrgang 1984) ist ein schottischer Komponist, Produzent und Multiinstrumentalist und stammt aus Stromness, Orkney. Nicht nur mit klassischer Musik beschäftigte er sich, sondern auch im Independent, Shoegaze- und Folk-Rock sowie im Bereich des Ambient bewegte er sich.

Doch zunächst kurz zur Geschichte, die hinter der Entstehung dieser Einspielung steht: Geschrieben wurde das Konzert vor drei Jahren und anschließend mit der Kammerstreichergruppe Studio Collective und dem Violinisten Daniel Pioro (Jonny Greenwood, BBC Philharmonic) eingespielt. Anfang 2021 verpflanzte der Komponist Erland Cooper die einzige existierende Aufnahme eines neuen Werks tief im Boden der Orkney-Inseln . Das Masterband wurde zusammen mit einer Geige, der Partitur, einem Brief in einer Keksdose und einem speziellen Stein, der die Stelle markierte, vergraben. Es wurde eine Schatzsuche mit Hinweisen eröffnet.

So existierten die digitalen Aufzeichnungen nicht mehr, sie wurden gelöscht und es verblieb also das ¼-Zoll-Magnetband mit den Noten. Das Magnetband wurde schließlich im September 2022 von den Orkney-Bewohnern Victoria und Dan Rhodes gefunden und ausgegraben, die ihren Urlaub rund um die Suche geplant hatten, nachdem sie einer Spur von Hinweisen gefolgt waren, die Erland hinterlassen hatte. Das ausgegrabene Band wurde im Juni dieses Jahres zum ersten Mal abgespielt und enthüllte ein Album, das erstaunlicherweise die Zeit relativ gut überstanden hatte, allerdings sind gelegentlich deutliche Spuren zu vernehmen, Störungen und Knistern auf dem Band.

Nun ist das Werk, Cooper's neues dreisätziges Werk für Solovioline und Streichensemble, befreit. Nach der Digitalisierung wird der Komponist die Partitur für die Live-Aufführung "als echte Zusammenarbeit mit der Natur" fertigstellen. Das Stück wurde anlässlich des 100. Geburtstags des gefeierten orkadischen Dichters George Mackay Brown geschrieben, da sich im Jahr 2021 sein Geburtsjahr zum 100. Mal jährte, inspiriert von dessen Gedicht "A Work for Poets“ (1996). Der 1996 verstorbene Dichter soll wohl hier verantwortlich sein für die eingeflochtenen Sprachanteile, einen Hinweis hierfür gibt es leider nicht.

Inspiriert worden soll das Konzert von Naturlandschaften und im Nachdenken über Zeit, Hoffnung, Gemeinschaft und Geduld sein. "Geduld", das passt im Zusammenhang mit der plötzlich eintretenden Stille ab 22:26, weil geduldig muss man warten, bis es weitergeht, ab etwa 23:45, etwas mehr als eine "Schweigeminute". So geschehen auf dem ersten Stück der CD, das ist eigentlich der Titelsong, die sogenannte "Full Version" in einer Länge von insgesamt 31:41 Minuten.

Interessant ist nun, dass jetzt 3 "Movements" folgen, Teil 1 als "Carve The Runes", Teil 2 als Then Be Content" und Teil 3 als "With Silence", jeweils wieder in drei Teile unterteilt. Ich gebe zu, dass ich nicht versucht habe, zu untersuchen, inwieweit sich diese Unterteilung anders anhört, jedenfalls kann ich feststellen, dass die Einleitung gleich ist.

Die Stimmung der Musik schwankt zwischen luftig-leicht und teils schwer, mit viel melancholischen Passagen, eigentlich klingt es fast durchgehend auch einfach "schön" und oft romantisch, inwieweit sich der Komponist an der Geschichte der klassischen Musik orientiert hat, vermag ich nicht zu beurteilen, denn es klingen mir immer wieder Töne ins Ohr, die mir bekannt vorkommen, und sei es von Vivaldi, von Bach und vielen anderen. So erweckt es in mir eine Stimmung, die nicht unbedingt als "modern" einzustufen ist, sondern halt an der Geschichte dieser Musik orientiert, und das bleibt durchgehend angenehm für mich.

Zum Schluß, sowie bei der "Full Version" als auch beim Part des Movements III., mit "sunwards turn", scheint man zu vernehmen, wie sich die Natur in der Bearbeitung des vergrabenen Materials eingemischt zu haben scheint. Knistern und Rumpeln werden hörbar, ein Schwanken zwischen den Kanälen, in etwa so, als hätte meine Anlage einen Schaden, und so äußert sich der Komponist entsprechend dazu: "Dies ist der letzte Moment des Stücks – in dem die Musik ein Gefühl der Verjüngung vermittelt. Als wir die Schlussmomente des letzten Satzes erreichen, ist das Band selbst durch seine Zeit im Boden besonders fragil geworden. Der Ton bewegt sich von links nach rechts, verzerrt und bricht auf eine Weise auf, die für mich sehr musikalisch ist. Es scheint, als hätte es auf seiner Reise vom Boden ins Licht ein Gefühl der Eindringlichkeit hinzugefügt und dient als Erinnerung an Widerstandsfähigkeit.“

Wirklich, in seiner Gesamtheit ein sehr ungewöhnliches und äusserst originelles Projekt, wohl einzigartig in seiner Art, und ich höre das sehr gern, es ist absolut entspannend und verbreitet Wohlgefühl, auch wenn sich verschiedene emotionale Ausprägungen herausstellen. Ach ja, das noch: Eine spezielle, recycelte LP in limitierter Auflage, signiert, nummeriert von 1-1000 und präsentiert mit einem Stück des originalen aufgeklebten Bandes sowie einem Echtheitszertifikat, kann aktuell vorbestellt werden.

Wolfgang Giese