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Mendelssohn Bartholdy, F. (Norrington)

Sinfonien Nr. 3 & 4

Info Musikrichtung: Sinfonik VÖ: 02.05.2005 Hänssler Classic / Naxos CD DDD (AD live 2004) / Best. Nr. 93.133 Gesamtspielzeit: 79:45

Wenn eine Interpretation Hörerscharen anzieht und zugleich polarisiert, dann kommt sie meist (immer noch) aus der Historischen Aufführungspraxis. Oder? Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart spielt überwiegend auf modernen (also spätromantischen) Instrumenten mit Stahlsaiten und intonationssicherer Klappen- und Ventiltechnik. Aber es verzichtet auf all jene Ticks, die sich Ende des 19., Anfang des 20. Jh. eingeschlichen haben, vor allem übergroße Besetzungen, das leidige Dauervibrato bei den Streichern und die moderne „amerikanische“ Sitzordnung, bei der 1. und 2. Violinen sämtlich auf einer Seite platziert werden (dabei geht nämlich das mitkomponierte doppelchörige Musizieren verloren). Und so kommt man in den Genuss eines ebenso präzisen wie leichten und durchsichtigen Klangbilds, dass auch die individuellen Timbres der Holzbläser leuchten lässt. Denn die klingen einmal nicht nur wie eine Verlängerung der Streicherregister. Verzichten muss man hingegen auf jenen samtig-sahnigen Klang, den viele der Altmeister am Dirigierpult kultiviert haben. „Gläsern“ und „dünn“ finden denn auch manche Hörer den ‚neuen alten’ Klang, den der Brite Roger Norrington mit dem RSS favorisiert.
Was bei der berühmten 3. & 4. Sinfonie von Felix Mendelssohn Bartholdy überrascht - und für Überraschung war Norrington immer schon gut - sind die bei aller historischen correctness plötzlichen und subjektiven Tempowechsel in den Sätzen. Norrington selbst folgt hier einfach seinem Gefühl: Der „zarte Duft“ frühromantischer Musik (und das luzide Klangbild des RSS verströmt bei diesen Werken wirklich einen angenehmen Duft!) benötige einfach etwas mehr Freiheit als die Werke der Wiener Klassik. Man kann das mögen oder nicht: Derlei Entscheidungen zeigen, dass es hier immer noch um individuelle, Neu-Schöpfungen und spontanes Musizieren geht - und nicht um aufführungspraktische Ideologie.

Georg Henkel