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Reviews

Heir Apparent

Graceful Inheritance


Info

Musikrichtung: Metal

VÖ: 21.01.2022 (01/1986)

(Hammerheart)

Gesamtspielzeit: 46:12

Internet:

http://www.heirapparent.com
http://www.hammerheart.com

Im Jahrzehnt vor Grunge entsprangen der harten Szene von Seattle einige außergewöhnliche Metal-Formationen, und zu den außergewöhnlichsten zählten Heir Apparent, die 1984/85 mit zwei Fünf-Track-Demos und dem auf beiden zu findenden und zudem den Pacific Metal Project-Sampler eröffnenden Song „Tear Down The Walls“ so viel Staub aufwirbelten, dass man es bis nach Dortmund sah, wo das Rock Hard in Zukunft intensiv die Kunde von diesem hoffnungsvollen Newcomer verbreitete. Es biß nur keine Plattenfirma angemessener Größe an, sondern lediglich die zwar geschmackssicheren, aber schon in Europa mit nur mäßiger Marktmacht ausgestatteten und auf dem US-Markt praktisch nicht präsenten Franzosen von Black Dragon Records, die Anfang 1986 dann das Debütalbum Graceful Inheritance herausbrachten, das erneut allerorten Jubelstürme hervorrief und dem Quartett theoretisch den Weg in eine goldene Zukunft hätte ebnen können. Es kam freilich anders: Eine Europatour mit Savage Grace im Juni 1986 wurde besuchertechnisch zum weitgehenden Reinfall – die potentielle Anhängerschaft hockte offenbar lieber zu Hause vor dem Fernseher und schaute sich die Übertragungen von der Fußball-WM in Mexiko an (sowas wie Public Viewing gab es damals ja noch nicht). Das Line-up zerfiel daraufhin, und das zweite, in veränderter und zum Quintett aufgestockter Besetzung eingespielte Album One Small Voice fiel weitgehend durch, so dass Heir Apparent auf dem Bandfriedhof verschwanden und diesem ab 1998 nur sporadisch und dann mit munter wechselnden Line-ups wieder entstiegen, wobei diesen Aktivitäten neben der Raritätensammlung Triad bisher nur ein weiteres Studioalbum (The Voice From Below, 2018) entsprang.
Bei Hammerheart Records erscheint Graceful Inheritance nun als remasterter Re-Release im Schuber mit allen Lyrics, Danksagungen etc., aber ohne Liner Notes oder Bonustracks, so dass kein Besitzer des Originals gezwungen wird, die Scheibe nochmal zu erwerben (obwohl Götz Kühnemund 1986 gedroht hatte, dass jeder, der diese Platte nicht mindestens dreimal kaufe, zur Strafe die neue Mötley-Crüe-LP geschickt bekomme), aber andererseits eine nachgewachsene Fangeneration die Chance erhält, die dreizehn Songs kennenzulernen. Alle acht von den Demos (neben „Tear Down The Walls“ steht auch „Keeper Of The Reign“ auf beiden) sind nochmal verewigt worden, ein stilistischer Unterschied zu den fünf Neuzugängen ist aber praktisch nicht auszumachen.
Das reichlich halbminütige Intro „Entrance“ läßt mit seltsamen Gitarrenharmonien schon erahnen, dass hier kein Metal von der Stange folgt, und siehe da, die erste große Überraschung folgt auf dem Fuße, indem „Another Candle“ nicht sofort drauflospowert, sondern mit sphärisch-entrückten instrumentalen Klängen und ebensolchen Vocals erstmal die Atmosphärekarte zieht, ehe sich dann doch noch melodischer Midtempo-Metal entspinnt, der sich hier und in den Folgesongs irgendwo in einer imaginären Schnittmenge aus Fates Warning und Iron Maiden positioniert, ohne von den beiden Eckpfeilern freilich mehr als einige grundlegende Anregungen zu übernehmen. Auch die Ortsnachbarn Queensrÿche schimmern gelegentlich durch, die zu diesem Zeitpunkt freilich ihre metallischen Wurzeln bereits zugunsten eines bisweilen konstruiert wirkenden Kunstrockanspruchs verlassen hatten (das ging bekanntlich schon mit Rage For Order los, da hat Matthias Herr recht), während Heir Apparent das erst mit One Small Voice taten. Ein Faible für ausgefeilte Backing-Chorsätze in AOR-Manier hatten sie freilich auch zu Debützeiten schon, wie „The Cloak“, „Masters Of Invasion“ oder „Hands Of Destiny“ unter Beweis stellen, wo Bandkopf/Gitarrist Terry Gorle Vokalist Paul Davidson mit einer Zweitstimme unterstützt. Davidson führt eine über weite Strecken recht hohe, aber trotzdem energiegeladene Stimme ins Feld, die zum episch angehauchten Material erstklassig paßt.
Alles andere als episch sind freilich die Songlängen – gleich eine Handvoll Songs bleibt unter der Dreieinhalb-Minuten-Marke oder erreicht die drei Minuten nicht mal, ohne dass man sie aber als amputiert ansehen müßte. Umgekehrt wird es wohl kein Zufall sein, dass sich unter den vier längsten, die Vierminutenmarke hinter sich lassenden Songs die beiden Songwritingbeiträge von Bassist Derek Peace befinden, der sich für das, was er ausdrücken möchte, eben etwas mehr Zeit nimmt. Auch ansonsten spielt der Bassist strukturell eine wichtige Rolle, nicht nur live (da Gorle als einziger Gitarrist agiert), sondern auch in den Studiofassungen, wo er in „Keeper Of The Reign“ auch Soloaufgaben verrichten darf. Wie Heir Apparent live klangen, deutet der in der Albummitte positionierte Song „R.I.P.“ an, der den Untertitel „live“ trägt (ein hübsches Paradoxon in den Titel einflechtend) und wo tatsächlich nur eine Gitarre zu hören ist, wenngleich Informationen über den Mitschnittsort und das Datum im Booklet fehlen und nur anderweitig eruiert werden können: Es ist kein Konzertmitschnitt (man hört auch kein Publikum), sondern eine „Live im Studio“-Aufnahme, getätigt im Herbst 1985 ein halbes Jahr nach der Einspielung der anderen Songs. Von der Atmosphäre her nehmen die US-Nordwestküstler hier das vorweg, was einige Zeit später die Kanadier Thunder Rider praktizieren sollten. Wer sich übrigens über den in den Songwriting-Credits hier und da auftauchenden Namen Cory Rivers wundert: Das war der Sänger des Heir-Apparent-Vorgängers Nemesis, von denen einige Songideen bzw. Lyrics, z.T. gemeinsam mit Peace verfaßt, mit zu Heir Apparent wanderten. Jim Kovach wiederum, der die Demos eingetrommelt hatte, fungiert auf dem Album nur noch als Gastmusiker an einigen zusätzlichen Percussions. Sein Nachfolger Raymond Black (gelegentlich auch unter Ray Schwartz firmierend) ist zweifellos in der Lage, einen geradlinigen Viererbeat zu halten, wenn’s drauf ankommt – er befleißigt sich aber lieber entweder eines leicht polterigen oder galoppierenden Stils, wie er im Epic Metal gang und gäbe ist, oder umspielt die Takte, wie Kollege Steve Zimmermann das bei Fates Warning tat und Mike Portnoy später allenthalben bei Dream Theater praktizieren sollte. In „Running From The Thunder“ nimmt er gar Rhythmusmuster vorweg, die ein Jahrzehnt später im sogenannten Groove Metal reüssieren sollten. Für Speedfreaks bieten Heir Apparent dabei eher wenig – aber der Kenner des ersten Demos weiß, dass da kurz vor Schluß doch noch was kommt, denn wie erwähnt sind alle seine Tracks auch auf dem Album gelandet, u.a. das nur reichlich zweieinhalbminütige „Nightmare (Faces In The Dark)“, das nach einem Intro mit wieder mal ungewöhnlichem Rhythmus, der noch alle Optionen offenläßt, plötzlich in lupenreinen melodischen Speed Metal umschlägt. Aber das bleibt ein einmaliger Ausreißer, selbst wenn mit „A.N.D. ... Dogro Lived On“ noch ein knapp unter der Speedgrenze lagernder Song folgt, der Graceful Inheritance einen kernigeren Abschluß verschafft, als man anhand des Gros des zuvor gehörten Materials mutmaßen würde. Die Songs brauchen jedenfalls trotz der erwähnten eingängigen AOR-Chorsätze einiges an Gewöhnungszeit – der hier tippende Rezensent, der 1986 auf der falschen Seite des antifaschistischen Schutzwalls wohnte und die Aufforderung von Götz daher nicht in die Tat umsetzen konnte (und noch heute auf seine Mötley-Crüe-LP wartet) und der die Band auch später immer nur in der Theorie kennenlernte und erst jetzt anläßlich dieses Re-Releases endlich auch ihre Musik hört, hat etliche Durchläufe gebraucht, um mit dem (grundsätzlich problemlos in sein Beuteschema passenden) Material warmzuwerden, und der Scheibe letztlich mehr als die drei für eine Rezension üblichen Durchläufe gegönnt, als sie ihre Reize langsam, aber sicher zu entfalten begonnen hatte. Und das lohnt sich definitiv – als Freund anspruchsvollen, aber trotzdem songdienlich agierenden Metals läßt sich in der reichlichen Dreiviertelstunde viel Interessantes entdecken. Einmaliger statt dreimaliger Erwerb reicht aber trotzdem.



Roland Ludwig

Trackliste

1Entrance0:38
2Another Candle3:56
3The Servant3:25
4Tear Down The Walls4:34
5Running From The Thunder2:59
6The Cloak2:34
7R.I.P. (live)4:59
8Hands Of Destiny3:27
9Keeper Of The Reign4:46
10Dragon’s Lair3:28
11Masters Of Invasion5:07
12Nightmare2:41
13A.N.D. ...Dogro Lived On 03:42

Besetzung

Paul Davidson (Voc)
Terry Gorle (Git, Voc)
Derek Peace (B)
Raymond Black (Dr)
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So bewerten wir:

00 bis 05 Nicht empfehlenswert
06 bis 10 Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert
11 bis 15 (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert
16 bis 18 Sehr empfehlenswert
19 bis 20 Überflieger