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Reviews

Chris Poland

Resistance


Info

Musikrichtung: Fusion

VÖ: 13.03.2020

(Ropeadope)

Gesamtspielzeit: 53:01

Internet:

http://www.facebook.com/officialchrispoland
ropeadope.com

Chris Poland, in den Mittachtzigern im Jazzumfeld bereits ein arrivierter Musiker, wurde in der metallischen Welt bekannt, als er auf den ersten beiden Megadeth-Scheiben die zweite Gitarre spielte und vor allem in Gestalt von Peace Sells...But Who’s Buying? ein Klassikeralbum für sich mit verbuchen durfte. Er war dann freilich nicht der erste und noch lange nicht der letzte Musiker, der aufgrund von Meinungsverschiedenheiten mit Bandkopf Dave Mustaine seinen Hut nehmen mußte. Das Soloalbum Return To Metalopolis paßte zumindest in der Theorie prima in die ab den Endachtzigern rollende Gitarrenheldenwelle mit Steve Vai und Joe Satriani an der Spitze, aber in der Praxis half es nicht, Poland langfristig als Solokünstler zu etablieren. So blieben seine rock- oder gar metalrelevanten Solowerke große Seltenheiten: Resistance, erschienen drei Jahrzehnte nach Return To Metalopolis, ist erst das fünfte, und da muß man schon die Liveversion letztgenannter Scheibe sowie die Compilation Raretrax mitzählen, um überhaupt auf diese Zahl zu kommen.
Die Frage ist nun, ob im vorliegenden Fall der altbekannte Slogan „Klasse statt Masse“ greift. Zumindest auf Resistance bezogen fällt die Antwort in gewisser Weise unentschieden, aber mit Tendenz zum Ja aus. Die Tendenz hätte noch deutlicher ausgeprägt sein können, hätte sich Poland getraut, noch mehr strukturell ungewöhnliche Nummern wie den Opener „Battle Bots“ unter den insgesamt zwölf zu verstecken. Zu den vier Instrumentalisten gesellt sich hier nämlich nicht nur eine offenkundig recht fähige Sängerin namens Felicia Patton, sondern auch noch ein Rapper namens Rhymefest – und mit dem Einsatz des letzteren ab der zweiten Strophe bekommt der eigentümliche Rhythmus dieser Nummer auf einmal einen völlig logischen Sinn. Der Rezensent hegt, wie der eine oder andere Leser weiß, eine herzliche Abneigung gegen 99,9% dessen, was sich in der Rapwelt so tut – die Aussage, ein Rapper sei eine markante Bereicherung für dieses Stück, darf also als Ritterschlag sondersgleichen gewertet werden, und die Nummer macht gerade in diesen Passagen richtig viel Spaß.
Ein ganzes Album davon wäre nun freilich zuviel gewesen, aber der nur einmalige Einsatz des Rappers mutet wiederum wie ein bißchen zuwenig an. Wenigstens gibt es die Sängerin in „The Journey“ (stimmungsmäßig ein bißchen an The Gathering der mittleren Anneke-Phase erinnernd, allerdings komplett ohne Keyboards) noch einmal zu hören, aber ansonsten bleibt Resistance komplett instrumentale Zone. Da Poland einige markante Themen verarbeitet, die man anstelle von großen Refrains zum Hineinarbeiten ins Material nutzen kann, fehlt der Gesang in der Erschließungsarbeit nur bedingt, aber ein bißchen erleichtert hätte er die Aufgabe schon. Aber gerade das Thema von „I Have No Idea“ ist so eingängig geraten, dass die Titelgebung nur ironisch gemeint sein kann. Von der Sorte hätte es noch ein paar mehr geben dürfen. Wer die Originale der beiden Coverversionen der Scheibe, „Django“ (John Lewis) und „Maiden Voyage“ (Herbie Hancock), im Ohr hat, könnte auch darüber einen Weg zur Erschließung finden. Noch an einem dritten Song ist Poland nicht kompositorisch beteiligt gewesen: „Den“ stammt aus der Feder von Zweitgitarrist David Taylor, paßt sich stilistisch aber problemlos ins Gesamtbild ein. Poland weiß also offenkundig, was er an seinen Mitmusikern hat, und so bekommt auch Bassist Bill Dickens in den Songgerüsten bedeutsame Aufgaben und zuweilen auch Solospots zugewiesen, und Drummer Jim Gifford spielt vom geradlinigen Viererbeat bis zu verschrobenen Rhythmen alles, was von ihm verlangt wird, ohne mit der Wimper zu zucken.
Ob man die 53 Minuten Musik noch Rock oder Metal nennen soll, darf diskutiert werden. Feistes Riffing gibt es nämlich eher selten, die songgrundierenden Parts stammen oft aus einer halbakustischen Gitarre, und nur bei den großen Leadparts kommt die Elektrische dann fast durchgängig an die Reihe. Die Halbakustikparts haben den Vorteil, dass man die kontrapunktische Einbindung des Basses viel besser analysieren kann, und Dickens‘ versponnene Soli etwa in „Next One“ lassen sich so auch viel besser genießen. Urwüchsige Power findet man freilich hier nicht, zumal im Zweifelsfall sowieso Gifford schnell wieder mit irgendeiner seltsamen Rhythmusfigur bei der Hand ist. Keyboardfreunde werden mit der Scheibe übrigens auch nicht glücklich: Im Closer „Song For Brad“ greift Albert Caldwell gasthalber in die Tasten einer Orgel (und ist phasenweise außerdem recht hintergründig eingemischt), ansonsten gibt es hier instrumental nur Saiten- und Schlaginstrumente. Aber wie man dieses Arsenal songdienlich einsetzt, davon haben die Beteiligten durchaus Ahnung, wenngleich man sich hier und da doch wünschen würde, sie würden den Rockfaktor und damit auch die Dynamikbreite etwas erhöhen. „Flame Runner“ etwa hätte eine Gelegenheit geboten, aber das Rennen ist hier eher ein gemütliches Schlendern, wenngleich mit einigen interessanten Gitarreneffekten. Diese Nummer ist eine von drei Widmungskompositionen der Scheibe, wobei der (erst in der Post-Poland-Phase eingestiegene) Megadeth-Drummer Nick Menza an „Flame Runner“ sogar kompositorisch beteiligt war, die Veröffentlichung des Songs in der hier vorliegenden Form aber nicht mehr erleben durfte, da er 2016 starb. Der Song stammt allerdings aus dem Repertoire von OHM, einem 1997 ins Leben gerufenen Trio aus Poland, seinem alten Bandkumpel Rob Pagliari, mit dem er schon in den späten Siebzigern musiziert hatte, am Baß und wechselnden Drummern, unter denen eben auch mal Menza war.
Der einzige, der über weite Strecken des Albums höhere Tempi anschlägt, ist derjenige der Saitenspieler, der gerade soliert – hier geht es oft flitzefingerig bis shreddend zur Sache, manchmal auch dort, wo man sich anhand des darunterliegenden Songparts nach dem Sinn fragt. Weniger wäre also manchmal mehr gewesen, aber eben auch mehr manchmal mehr. Wem der Sinn nach megadeth-kompatiblem Kraftfutter steht, der wird hier jedenfalls nicht fündig – angesprochen wird hier eher die Fusion-Fangemeinde, der gute Teile des Materials prima reinlaufen könnten. Passenderweise ist das Album auch nicht auf einem Rock- oder gar Metal-Label erschienen: Ropeadope Records arbeiten vorwiegend im Jazz- bis Fusion-Bereich. Der Digipack kommt ohne Booklet aus und ist informationsseitig relativ sparsam gehalten, auch die Lyrics der beiden Gesangsnummern bleiben abwesend, und wer sich weitere Infos holen will, muß eine Suchmaschine anwerfen (oder hier in den Infokasten linsen), denn eine Homepage-URL von Poland oder vom Label sucht man gleichfalls vergeblich. Das Pop-Art-Cover verrät grundsätzlich auch nichts über die zu erwartende Stilistik – wer die zackigen Strukturen als Indiz für metallische Härte deutet, liegt jedenfalls meilenweit daneben, denn solche gibt es selbst im vergleichsweise knackigen Closer „Song For Brad“, in dem auch Gifford endlich mal kurz Tempo machen darf, nicht. Man sollte also tunlichst vorher wissen, was man von Resistance zu erwarten hat – trifft dies zu, kann man mit der Scheibe durchaus warm werden und bei etlichen Durchläufen immer wieder interessantes Neues entdecken, was man bisher noch nicht wahrgenommen hat, ohne dass man aber von progressiv gemeinten Ideenwirbeln überrollt wird.



Roland Ludwig

Trackliste

1Battle Bots5:27
2The Kid3:18
3I Have No Idea4:21
4Moonchild (for Kaleigh)2:52
5Den3:36
6Sunday4:09
7The Journey3:16
8Next One5:38
9Django5:08
10Flame Runner (for Nick Menza)4:21
11Maiden Voyage6:56
12Song For Brad (for Brad Zandstra)3:51

Besetzung

Chris Poland (Git)
David Taylor (Git)
Bill Dickens (B)
Jim Gifford (Dr)
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So bewerten wir:

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06 bis 10 Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert
11 bis 15 (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert
16 bis 18 Sehr empfehlenswert
19 bis 20 Überflieger