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Orfeo et Euridice
Info
Musikrichtung:
Barock - Frühklassik / Oper
VÖ: 26.04.2024 (Erato / Warner Classics / CD / DDD / 2023 / Erato 5054197897535) Gesamtspielzeit: 84:44 |
UNMITTELBAR MENSCHLICH
Nun also hat sich der Countertenor Jakub Józef Orliński einen langgehegten Traum erfüllt und in der Personalunion als Interpret, künstlerischer Leiter und Produzent Christoph Willibald Gucks 1762 entstandene Oper „Orfeo et Euridice“ aufgenommen. Mit dem Geiger und Dirigenten Stefan Plewniak entstand eine atmosphärisch und psychologisch dichte Version dieses legendären Reformwerks.
Glucks Orchester, das ja eine gewisse marmorne Monumentalität ausstrahlen kann, klingt in diesem Fall sehr beweglich und farbig, auch dank einer sehr breiten Dynamikpallette. Diesen „Orfeo“ charakterisiert eine fast schon romantische Stimmung, er verströmt jedenfalls keine klassizistische Kühle. Unter Plewniaks Leitung singt und atmet das polnische Alte-Musik-Ensemble „Il Giardino d’Amore“ mit den Sänger:innen und eröffnet im guten Sinne wie ein Soundtrack Gefühlsräume, in denen sich das vom Librettisten Raniero de‘ Calzabigi geschaffene Drama emotional berührend entfalten kann. Zwar mag man das Gebell des Cerberus in der der Tartarus-Szene auch schon klarer artikuliert gehört haben, aber es besitzt doch eine düstere und aggressive Wucht.
Der dramatischen Wahrhaftigkeit, die Gluck und sein Librettist Calzabigi fordern, wird Orliński durch eine Darstellung gerecht, bei der er aus der Sicherheitszone eines nur-schönen Tons heraustritt und sowohl die hohen wie tiefen Register mit ihren vielen dramatischen Schattierungsmöglichkeiten und Farben erkundet.
Was die trompetenartige Leuchtkraft und ein vokales Ebenmaß angeht, dürfte ihn wohl nur Michael Chance mit seiner Aufnahme von 1992 übertreffen (Sony BMG). Neben seiner charakteristischen Stimmfarbe, bei der sich die Timbres von Oboe und Zink mischen, stehen Orliński ein expansives Messa di voce sowie geschmackvoll eingesetztes Portamento zur Verfügung, mit denen er die großen melodischen Bögen gestaltet. So riskiert er auch eindringliche Schmerzenstöne und echtes Pathos. Man hört im singenden Halbgott Orpheus immer auch den sehnenden und verletzlichen Menschen.
Unterstützt wird dieser Ansatz auch durch die beiden Sopranistinnen, Orlińskis Wunschpartnerinnnen Elsa Dreisig als Euridice und Fatma Said als Amor. Letztere verleiht dem Gott der Liebe eine kecke, auch kokette Persönlichkeit: eine Figur, die frisch aus einer Oper Monterverdis entsprungen sein könnte! Dieser Liebesgott ist nicht Bote aus einer anderen Welt, sondern eine Kraft mit eigenem Willen, die Orfeo „auf Kurs“ bringt.
Auch die stimmschöne Euridice von Dreisig ist ein eigenwilliger, leidenschaftlicher Charakter, der vor dem letztlich glücklichen Finale in den Auseinandersetzungen mit Orfeo dem pflichtbewussten und fordernden Gatten eindrücklich Widerstand leistet – die Herrlichkeiten des Elysiums sind eben doch sehr verführerisch und das für beide gute Ende der Geschichte scheint bei ihr alles andere selbstverständlich.
So geraten gerade die rezitativischen Momente zu dramatischen Höhepunkten dieser Produktion, die über die Dauer von 85 Minuten in den Bann schlägt. Dass sie auf einer randvollen CD Platz finden, sorgt dafür, dass man den Spannungbogen bis zum festlichen Schlussballett des lieto fine ohne Unterbrechung genießen kann.
Georg Henkel
Besetzung
Il Giardino d’Amore
Stefan Plewniak, Leitung
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |