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Doux Silence. Airs de Cour und Tänze aus der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts
Info
Musikrichtung:
Barock / Ensemble
VÖ: 26.04.2024 (Alpha / Naxos / CD / DDD / 2022 / Alpha 1035) Gesamtspielzeit: 62:15 |
Die Kunst der Verzierungen ist eine Wissenschaft für sich, zumal in der französischen Musik des 17. und 18. Jahrhunderts. In zahllosen Traktaten wird erläutert, wie eine melodische Phrase in ihrer Wirkung und ihrem Ausdruck gesteigert werden kann, wenn die einzelnen Töne umspielt und durch Vorschläge, Triller, Akzentuierungen, Diminutionen oder auch expressiv eingesetztes Atmen geformt werden. Oft dienen die Verzierungen dazu, die Melodie auf die Prosodie der Worte abzustimmen, so dass die Betonungen und Silbenlängen mit der Musik zusammengehen. Idealerweise unterstützt all dies die Textdarstellung und Rhetorik.
Das neue Album von „Les Musiciens de Saint-Julien“ und ihrem Leiter François Lazarevitch demonstriert anhand von Airs de Cour, höfischen Liedern unterschiedlicher Stilhöhe, wie das komplexe Regelwerk der Ornamentierung auf die Musik anzuwenden ist. Die meisten der hier versammelten Komponisten dürften musikhistorisches Spezialwissen sein. Zu den prominenteren gehören Antoine Boesset oder Michel Lambert, der Schwiegervater des ebenfalls vertretenen Jean-Baptiste Lully.
Die Besetzung mit zwei Singstimmen, Block- bzw. Traversflöte, Musette, Harfe, Theorbe und Gambe erlaubt eine flexible, auch improvisatorische Ausgestaltung der Stücke, so dass selbst schlichte Melodien wie üppige Blumengirlanden aufblühen.
Hier wird alles bis in die kleinste Geste hinein durchgestaltet und immer wieder neu variiert. Die Oberfläche der Musik kringelt und kräuselt sich wie ein der Spiegel eines Teiches im Wind, was für durchaus ungewöhnliche Eindrücke sorgt. Dieser delikate Manierismus wird so zum eigentlichen Ereignis, der jedes der hier versammelten Stücke veredelt und selbst Bekanntes neu klingen lässt.
Dazu kommen vergleichbar differenzierte Bearbeitungen von Tänzen, vor allem aus den Opern und Balletten Jean-Baptiste Lullys, vor allem für die Traversflöte, für die zunächst noch kein eigenes Repertoire existierte.
Auch hier sorgen die Auszierungen für immer neue Beleuchtungen und Impressionen. Die Musette, die adelige Verwandte des Dudelsacks, steuert urige pastorale Farben bei. Lieder und Tänze fügen sich zu diversen Suiten, wobei die Flöte oft als parallele oder gegenläufig hinzutretende Stimme den Gesang begleitet. Hier erfreut man sich am agilen und mädchenhaften, dabei leicht orientalisch gefärbten, Sopran von Julie Roset, oft im Duett mit der tenoral abgetönten Mezzo-Stimme von Lucile Richardot.
So entsteht in gut 60 Minuten ein konzentriertes Panorama des französischen Hochbarock, der mitunter frappierend modern wirkt. Die sinnlichen Airs und stilisierten Tänze entfalten noch im Kleinsten einen verspielten Reichtum, der das Ohr durch immer neue Reize kitzelt und die Seele zu immer neuen Empfindungen stimuliert: mal heiter, mal melancholisch, mal bukolisch, mal erhaben. Ein instruktives Interview mit Lazarevitch erschließt die editorischen Hintergründe. Auch klanglich ist diese Produktion tadellos.
Georg Henkel
Trackliste
Honore d'Ambruis / Jean-Baptiste Lully / Bertrand de Acilly: Suite en La
Robert de Visee / Nicolas le Begue / Michel Lambert / Jean-Baptiste Lully / Antoine Boesset / Charles Couperin / Mademoiselle de la Chataingeraye / Anne Dancian Philidor: Suite en Re
Bertrand de Bacilly / Ennemond Gaultier / Jean-Henry Danglebert: Suite en La
Jean-Baptiste Lully / Gaultier de Marseille: Suite en Sol
Robert de Visee / Bertrand de Bacilly: Suite en Do
Besetzung
Les Musiciens de Saint-Julien
François Lazarevitch, Block- und Traversflöte, Musette & Leitung
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |