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Missa Praeter rerum seriem u. a.
Info
Musikrichtung:
Renaissance / Vokal
VÖ: 05.04.2024 (Hyperion / Note 1 / CD / DDD / 2023 / CDA68439) Gesamtspielzeit: 64:44 |
ERHABEN UND KUNSTVOLL
Josquins berühmte sechsstimmige Motette „Praeter rerum seriem“ war bei der nachfolgenden Generation franko-flämischer Komponisten des 16. Jahrhunderts ein vielparodiertes Modell. Der feierlich tiefe Klang und die ausdrucksstarke Textur des Originals inspirierten sie zu der Übernahme und Erweiterung der ursprünglichen Komposition auch in ganz neue Kontexte. So auch der heute wenig bekannte George de la Hèle, der am Hofe Philipp II. von Spanien dessen Vorliebe für die traditionelle polyphone Musik bediente.
Die eigens für die flämischen Komponisten gegründete und gut ausgestattete „Capilla Flamenca“ ermöglichte es ihm, bei seiner „Missa Praeter rerum seriem“ eine weitere Sopranstimme durchgängig und im zweiten „Agnus Dei“ sogar noch eine doppelte Tenorstimme einzufügen. Zwar bewahrt er den dunkel-ernsten Charakter der Musik, baut sie aber respektvoll zu einer kompletten, sieben Sätze umfassenden Messe aus.
Der mit 38 Sängerinnen und Sängern ebenfalls groß besetzte Chor „El León de Oro“ macht bei der Aufführung dieses prächtigen Kleinods seinem Namen alle Ehre und singt die erhabene Musik ebenso klangintensiv wie erhaben, dabei stets transparent genug, um den Details gerecht zu werden. Und sicherlich verdankt es sich auch der Leitung des britischen Renaissancemusik-Experten Peter Phillips, dass die weiblichen Sopran- und Altstimmen so knabenähnliche Timbres haben – wer denkt da nicht an das von Phillips gegründete ikonische Ensemble „The Tallis Scholars“? Freilich ist der Ton der spanischen Sänger:innen im Ganzen wärmer und besetzungsbedingt körperlicher als derjenige der britischen Kolleg:innen.
Dazu kommt ein voller Raumklang. Begibt man sich als Zuhörender zwischen die Lautsprecher, kann man ein fast immersives Klangerlebnis haben. Durchhörbar, homogen und intonationsklar gelingen auch die weiteren Kabinettstücke auf diesem Album: Motetten von Pierre de Manchicourt, Nicolas Payen und Philippe Rogier stellen der flämischen Komponisten-Enklave am spanischen Hof nicht nur das beste Zeugnis aus, sondern zeichnen auch die dortige Entwicklung der Musik bis zum Ende des 16. Jahrhunderts und an die Schwelle zum Barock nach.
In Rogiers „Cantantibus organis“ und mehr noch im doppelchörigen „Regina Caeli“ macht sich bereits der Einfluss der venezianischen Mehrchörigkeit bemerkbar. Die Texturen sind aufgelockerter, der Kontrapunkt weniger dicht. Dafür prägen rhetorisch und rhythmisch prägnanter durchgestaltete Abschnitte die Musik.
Für Liebhaber der alten Vokalpolyphonie eine wertvolle und kunstvoll dargebotene Repertoiregänzung.
Georg Henkel
Trackliste
Pierre de Manchicourt: Osculetur me; Emendemus in melius; Regina caeli
Nicolas Payen: Virgo prudentissima
Philippe Rogier: Cantantibus organis; Regina caeli
Besetzung
Peter Phillips – Marco Antonio García de Paz, Leitung
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |