Reviews
Binary Dream
Info
Musikrichtung:
Progressive Metal
VÖ: 08.03.2024 (Frontiers / Soulfood) Gesamtspielzeit: 48:42 Internet: http://www.turbulenceprog.com |
2013 als Dream Theater-Tribute-Band gegründet - „Coverband“ erscheint mir hier nicht passend –, brachten Turbulence bereits zwei Jahre später in Eigenregie ihr Debüt Disequilibrium heraus. Das quoll vor Musikalität und Idealismus förmlich über und war randvoll mit Ideen, die unter anderem den Einsatz eines Saxofons beinhalteten! Und mit „Never Let Me Go“ bewies der Newcomer aus dem Libanon neben großem handwerklichem Talent auch einen bemerkenswerten Sinn für zauberschöne Melodien!
Dass dieses Mischungsverhältnis etwas Besonderes hatte, erkannten irgendwann auch Frontiers Music. Die Folge: 2021 brachten Turbulence bei dem italienischen Label ihren zweiten Longplayer Frontal heraus. Darauf zeigte sich nicht nur eine klangliche Weiterentwicklung, auch das Songwriting hatte an Dichte gewonnen und insgesamt eine bemerkenswerte Reife erreicht. Hin und wieder verzettelte sich das Quintett in seinen Songs zwar noch, dennoch konnte man sich zu Recht freuen, als das dritte Album angekündigt wurde.
Und Binary Dream erfüllt die hohen Erwartungen mit jedem Hören mehr, je tiefer man in die ungewöhnliche, aufwühlende Geschichte eintaucht. Das faszinierende Werk ist wie seine beiden Vorgänger ein Konzeptalbum, das den beschwerlichen Weg des Roboters 8b+1 beschreibt, der durch Träume allmählich ein eigenes Bewusstsein entwickelt. Seine Zweifel und Ängste, aber noch mehr Hoffnung, Mut und große Zuversicht setzt die Band grandios und gerade auch in den drei Instrumentalstücken jederzeit nachvollziehbar um! Man erlebt hautnah mit, wie eine Maschine immer menschlicher wird!
Im Intro „Static Mind“ kann sich Keyboarder Mood Yassin, der auch Sounddesigner ist, nach Herzenslust austoben. Im Kontrast dazu steht der erste „richtige“ Song „Theta“ mit seinen fiebrig vibrierenden Basssaiten ganz im Zeichen von ganz viel Rhythmus und noch mehr Groove. Das instrumentale „Time Bridge“ ist danach Dream Theater pur, die Technikdemonstration dauert allerdings nicht einmal zwei Minuten. In „Manifestations“ ist der einsetzende und nicht aufzuhaltende Wandel, der in 8b+1 vor sich geht, so spannend umgesetzt, dass man den Gesang nicht vermisst!
Das sanft beginnende „Ternary“, dessen Zartheit auf seine Art ebenso feurig intoniert wird wie die rockigen Parts, zieht den Hörer mit einem wundervollen Gesangsarrangement voller Gefühl, Tiefe und einer unwiderstehlichen Ausdruckskraft in seinen Bann. Die hatte Sänger Omar El Hage auf Frontal so ausgeprägt noch nicht! Im 14-minütigen Titelstück „Binary Dream“ wird während einer nicht angemessen in Worte zu fassenden musikalischen und emotionalen Achterbahnfahrt die Kernfrage gestellt: „Who are we? Architects of God, or masters of our demise?“ Für eine gute Minute Exotik sorgt das von Gastmusiker Sam Dabboul gespielte Kanunsolo. (Erklärung: Die Kanun ist laut Wikipedia eine orientalische griffbrettlose Kastenzither, die in der arabischen und türkischen Kunstmusik gespielt wird. - MS) „Hybrid“ bekommt durch den reizvollen Kontrast aus nervöser Dynamik mit extremen Tempowechseln und El Hages einfühlsamem, verletzlichem Gesang eine ganz spezielle Intensität. Dabei bleibt das Stück durch seine klaren Konturen trotz der zahlreichen Breaks jederzeit übersichtlich.
Zum vom akustischen Eindruck her etwas schwächeren, aber immer noch imposanten “Corrosion“ haben Turbulence ein eindrucksvolles Video gedreht, das die Wirkung des Tracks gewaltig verstärkt. Überhaupt gibt sich die Gruppe mit der visuellen Umsetzung ihrer Songs besonders viel Mühe. Dadurch dürfte vielen Prog-Fans, die mit der Band und ihrem Schaffen noch nicht vertraut sind, die Atmosphäre dieser Platte in komprimierter Form vermittelt werden.
Das abschließende Instrumental Deerosion wechselt von nachdenklich zu euphorisch, fasst durch seinen Verlauf das Album in gewisser Weise zusammen und animiert dazu, sich diese phantastische CD sofort noch einmal anzuhören.
Binary Dream ist ein tiefgründiges Kunstwerk, das sich, eingefasst in flirrende, glitzernde Sounds, in einer Weise mit essenziellen Fragen der menschlichen Existenz beschäftigt, die lange nachwirkt.
Zum Schluss ein Sonderlob für das Cover: Das Artwork von Anthony Atwe ist ein Eyecatcher mit Posterqualität! Passt perfekt zur hochklassigen Musik!
Michael Schübeler
Trackliste
1 | Static Mind | 1:31 |
2 | Theta | 5:04 |
3 | Time Bridge (Instrumental) | 1:53 |
4 | Manifestations (Instrumental) | 6:28 |
5 | Ternary | 4:17 |
6 | Binary Dream | 14:06 |
7 | Hybrid | 6:07 |
8 | Corrosion | 5:45 |
9 | Deerosion (Instrumental) | 3:31 |
Besetzung
Alain Ibrahim (Guitars, Vocals, Producer)
Anthony Atwe (Bass)
Morgan Berthet (Drums)
Mood Yassin (Keyboards)
Gäste:
Danny Bou-Maroun (Orchestration on Track 3)
Sam Dabboul (Qanun-Solo on Track 6)
Oliver Maalouf (Violin & Viola on Track 3)
Jana Semaan (Cello on Track 3)
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |