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Les Génies (ou les caractères de l’amour)
Info
Musikrichtung:
Barock / Oper
VÖ: 16.02.2024 (CVS / Naxos / 2 CD / DDD / 2023 / CVS 121) Gesamtspielzeit: 141:57 |
BEGEISTERUNG FÜR DIE GENIEN
Nicht einmal der Vorname jener jungen Dame ist bekannt, die 1736 in der Pariser Musikakademie am Cembalo sitzend ihre erste und einzige Oper „Les Génies“ begleitete. Das Taktschlagen hatte die unter dem Namen Mademoiselle Duval tätige Sängerin, Cembalistin und Komponistin ihrem Kollegen Jean-Féry Rebel überlassen und so konnte das Publikum die 22jährige dabei bestaunen, wie sie den Continuopart zwischen lauter männlichen Musikern übernahm. Ihr Opern-Ballett war seit der Premiere von Élisabeth Jacquet de la Guerres „Céphale et Procris“ von 1694 überhaupt erst die zweite französische Oper aus den Händen einer Frau. Dem Werk war ein kurzer Erfolg beschieden, sogar Aufführungen für die Königin sind dokumentiert. Auch wurde das Werk in reduzierter Partitur gedruckt – und dann für die nächsten rund dreihundert Jahre vergessen.
Der unermüdlichen Schürf- und Rekonstruktionsarbeit von Musikwissenschaftlern wie Benoît Dratwicki vom Centre de musique baroque de Versailles und aufgeschlossener Musiker:innen wie der Cembalistin Camille Delaforge und des Ensembles Il Caravaggio ist es zu verdanken, dass dieses charmante Werk jetzt erneut zu Gehör gebracht wird, im Konzert und auf CD.
Obschon Mademoiselle Duval Zeitgenossin der Neuerungen Jean-Philippe Rameaus war, bewegt sie sich in „Les Génies“ musikalisch eher auf der Spur der Vorgängergeneration, die freilich die musikalische Sprache schon bedeutend angereichert, sie überdies für italienische Einflüsse geöffnet hatte.
„Les Genies“ ist ein Opern-Ballett und besteht aus einem Prolog und vier eigenständigen Akten, die um die verschiedenen Spielarten der Liebe kreisen, die mit vier unterschiedlichen Arten von Genien (Nymphen, Gnomen, Salamandern, Sylphen) und Elementen (Wasser, Erde, Feuer, Luft) verbunden werden. Dieser amourös-symbolische Mix liegt ganz auf der Linie der damaligen Moden und bot Gelegenheiten für exotische Sets und Spezialeffekte auf der Bühne. Und natürlich diverse Sing- und Tanzvergnügungen.
Mademoiselle Duval erweist sich als sehr talentiert, die manchmal nicht sonderlich originellen oder gar dramatischen Szenen mit bühnenwirksamen Leben zu füllen. Und wenn sie dann, wie im Fall des „Salamander“-Aktes über die gewalttätige Liebe, doch einmal die Gelegenheit für große Gefühlsentladungen bekommt, nutzt sie diese auf eindrucksvolle Weise. Von dem, was es hier zu hören gibt, bewegt sich das Meiste auf inspiriertem Niveau, manches ragt ob seiner Originalität heraus, sei es, dass größere Architekturen aus Arien und Chören errichtet werden (Schluss des 2. Aktes), sei es, dass ein Feuerwerk heftiger Affekte abgebrannt wird (der 3. Akt) oder einfach nur vokale Leichtigkeit und Eleganz inszeniert werden (4. Akt). Bei den Tänzen erinnert ein Tambourin (1. bzw. 3. Akt) fast an Rameaus Beiträge, auch ein delikat hingetupftes „Prélude gay, sans vitesse“ im 4. Akt lässt aufhorchen.
Es ist sicherlich auch ein Verdienst der Interpret:innen, dass diese Mischung aufgeht. Camille Delaforge nimmt man ihre Begeisterung sofort ab. Ihr und ihrem Team gelingt es, jedem Akt eine bestimmte Grundstimmung oder -farbe zu verleihen und die einzelnen Nummern pointiert herauszuarbeiten oder auch Effekte der barocken Bühnenmaschinerie mit rein akustischen Mitteln zu evozieren. Arien, Tänze, Chören funkeln, die Rezitative haben expressive Kraft und die Orchesterfarben sind abwechslungsreich.
Unter den Sänger:innen beeindruckt insbesondere der Bass Guilhelm Worms, der im Prolog dem Zoroaster und im Feuer-Akt dem Numapire seine schöne, kraftvolle Stimme leiht. Gerade zu Letzterem passt ein gewisser Machismo, den Worms hier beimischt, sehr gut.
Auch bei den vielbeschäftigten Damen klingt vieles sehr schön: Marie Perbost, Florie Valiquette und Anna Reinhold glänzen in ihren vielen mal mehr dramatischen, dann wieder sinnlichen oder koketten Rollen, die sie mit leuchtenden oder dunkelsamtenen Farben ausstatten. Insbesondere verleiht Anna Einhold der zornigen Hauptnymphe im 1. und der feurigen Pircaride im 3. Akt eine eindrückliche Aura.
Während der hohe Tenor von Etienne de Bénazé trotz einiger eigentümlicher Vokalfärbungen eine adäquate Besetzung für den Léandre im 1. Akt ist, mangelt es dem an sich sensibel gestaltenden Paco Garcia in der Höhe für den Sylph im 4. Akt an der nötigen Leichtigkeit, das mitunter schüttere Timbre irritiert. Bariton Matthieu Walendzik kommt die tiefere Partie des Gnomenkönigs Adolphe im 2. Akt mehr zupass als die höhere Lage des Zerbin.
Das vital aufspielende Orchester und der einsatzfreudige Chor der Versailler Oper tun das ihre, um die Zuhörenden für rund zweieinhalb Stunden zu unterhalten.
Georg Henkel
Besetzung
Chor der Versailler Oper
Ensemble Il Caravaggio
Camille Delaforge, Cembalo & Leitung
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06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
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