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Celestial Mechanics – Zeitgeist – Otherwordly Resonances
Info
Musikrichtung:
Neue Musik / Klavier
VÖ: 05.01.2024 (Kairos / Note 1 / CD / DDD / 2020-2022 / 0022012KAI) Gesamtspielzeit: 69:42 |
PIANISTISCHER HYPERRAUM
Nach ihrer herausragenden Einspielung der ersten drei „Makrokosmos“-Bände beim Label KAIROS legt die Pianistin Yoshiko Shimizu nun eine weitere Produktion mit Klavierstücken von George Crumb vor. Mit dem Werk des 2022 verstorbenen amerikanischen Resonanzforschers und Klangmagiers, der das Klavier gerne elektrisch verstärkt und mit ungewöhnlichen Spieltechniken zum Fluoreszieren gebracht hat, ist die Japanerin seit langem tief vertraut.
Das besondere an der vorliegenden Produktion ist die solistische Darbietung von drei Zyklen, die eigentlich für Klavier zu vier bzw. sechs Händen oder sogar zwei Klaviere komponiert wurden. Die Aufnahmetechnik macht es möglich, dass Shimizu alle Partien spielt. Das gelingt ihr perfekt: Bruchlos greifen die verschiedenen Aggregate und Schichten, aus denen Crumb seine oft träumerisch-versponnenen Klangwelten fügt, ineinander. Noch die kompliziertesten Stimulationen der Klaviersaiten klingen bei ihr zauberisch verspielt, geraten dabei zugleich sehr plastisch und präzise.
Kosmisches, Außer- und Überweltliches geben oft die assoziationsreichen Ideen für die Stücke ab: Sternkonstellationen etwa, deren lateinischen Namen per se etwas Beschwörendes und zugleich Musikalisches eignet, haben wie schon die Vorgängerbände auch den IV. Teil des Makrokosmos mit dem Haupttitel „Celestial Mechanics“ inspiriert. Tatsächlich sorgen die konventionell angeschlagenen Töne zusammen mit speziellen Reibe- und Zupftechniken, sirrenden Glissandi und tieffrequenten nebulösem Registerraunen für stellare Impressionen. Man sieht gleichsam die dazu passenden Hubble-Teleskop-Aufnahmen vor den inneren Augen.
Hört man in der farbig exotischen Harmonik Einflüsse von Debussy, Ravel und Messiaen heraus, so erinnern manche rhythmischen und perkussiven Elemente eher an Bartok (mit dem Obertitel "Makrokosmos" spielt Crumb nicht umsonst auf dessen Klaviersammlung "Mikrokosomos" an). Aber auch der große frühavantgardistische Landsmann von Crumb, der Klanglandschaftsmaler Charles Ives, hat seine Spuren hinterlassen, ebenso wie ethnomusikalische Einflüsse sowie bestimmte Echo-Phänomene, die Crumb während seiner Kindheit in den Tälern der Appalachen erlebte.
Buntscheckiger sind die Anlässe für die zusammengehörigen Werke „Zeitgeist“ oder „Otherwordly Resonances“. Da posieren zum Beispiel zwei quecksilbrige „Harlequins“, da entfalten sich Obertonspektren auf einem imaginären „Monochord“ oder es grüßt der Halleysche Komet in „Day oft he Comet“ mit flirrend-schweifenden Tontrauben. Vielschichtig klingt wiederum „Palmipsest“, bei dem eine differenzierte Dynamik für Nah- und Fernklangwirkungen sorgt und die leiseren Klangbänder durch die lauteren hindruchschimmern lässt.
Immer wieder gibt es in Crumbs musikalischem Universum einprägsame Klang- und Motivgestalten und harmonische Kombinationen, die jedem der von Crumb so genannten „Tableaux“-Sätze ein unverwechselbares Gesicht geben. Bei aller Komplexität bleiben die Stücke immer überschaubar und „griffig“ und die suggestiven atmosphärischen Wirkungen nehmen einen sofort gefangen.
Auch tontechnisch ist dies wieder eine ausgezeichnete Produktion, die die sinnliche Originalität von George Crumbs Erfindungen einmal mehr unterstreicht.
Georg Henkel
Trackliste
Zeitgeist für Amplified Piano
Otherworldly Resonances für 2 Amplified Pianos
Besetzung
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |