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Love is strange
Info
Musikrichtung:
Lautenconsort
VÖ: 01.10.2005 Alpha / Note 1 CD DDD (AD 2005) / Best. Nr. Alpha 081 Gesamtspielzeit: 61:14 |
FUNKY MELANCHOLY
Wieder so ein Paradox aus der Geschichte der Alten Musik: Zahlreiche Quellen berichten über das Musizieren von mehreren Lauten im Verbund, bei französischen Hofballetten sollen sogar bis zu 40 Lauten gleichzeitig im Einsatz gewesen sein! Aber Noten haben sich von dieser Praxis kaum erhalten. Auf hunderte von Stücken für Solo-Laute kommen gerade eine handvoll, die ein Lauten-Consort mit drei, vier oder mehr Spielern vorsehen. Vieles wurde seinerzeit wohl einfach improvisiert oder durch Bearbeitungen aus anderen Consortbesetzungen, z. B. für Gamben oder Sänger, gewonnen. Auch bei der Drucklegung sind wohl die meisten Großbesetzungen wieder auf eine einzige Laute heruntertransformiert worden.
Also haben sich Vincent Dumestre und Le Poème Harmonique daran gemacht, dieses Genre wiederzubeleben. Das Ergebnis ist ein Volltreffer. Vielleicht hätten diese Stücke bekannter oder anonymer englischer Komponisten bei anderen Interpreten und in anderer Besetzung nur eine vergnügliche frühbarocke Easy-listening-Episode ergeben: Schön klingen sie ja alle irgendwie. Berückend melancholisch auch. Und wer kann schon Green sleeves widerstehen? Aber in dieser Version wirken selbst altbekannte Ohrwürmer wie gerade frisch erfunden. Und das bei einer Besetzung mit Zupfinstrumenten! Ich muss zugeben: Einen solchen Farbenzauber hätte ich nun überhaupt nicht erwartet. Kein Stück klingt wie das andere.
Allerdings treten zusammen mit den samtig tönenden Lauten immer wieder einige nähere und fernere „Familienmitglieder“ auf: die resonanzreiche große Theorbe (Erzlaute), die silbrig näselnde Cister oder die hellklingende Gitarre z. B. Mein persönlicher Favorit ist jedoch das Doppel-Viriginal, dessen sehr klarer und leuchtender „blaugrüner“ und „funkiger“ Klang mich tatsächlich ein wenig an einen frühen Synthesizer erinnert! Gerade dieses Instrument, das Pierre Hantai auch in einigen Solo-Nummern vorstellt, sorgt im vollen Ensembleklang für das gewisse Etwas.
Der dichte, bei größeren Besetzungen fast orgelartig rauschende Klang verdankt sich auch der Tatsache, dass die Musiker nicht nur nach den Noten spielen, sondern auch unabhängig von einander improvisieren und sich vor allem bei den schnellern Stücken gegenseitig befeuern. Das führt zu unberechenbaren Stimmführungen mit raffinierten Schwebungen - wie da Klangräume ausgemessen werden, scheint ebenfalls Entwicklungen späterer Jahrhunderte vorwegzunehmen. Aber mit Swing!
Also: Wenn es diese Platte nicht in die Charts schafft, weiß ich’s auch nicht …
Georg Henkel
Trackliste
1 | Wakefilde on a green (John Johnson) |
2 | Dorickk Prelude (Cosyn) |
3 | Decrevi (Anthony Holborne) |
4 | Callinoe (Anonyme) |
5 | Ut re mi fa sol (Robert Parsons) |
6 | Twenty waies upon the bells (Thomas Robinson) |
7 | Irish Toy (John Bull) |
8 | Sellegers Ronnde (John Johnson) |
9 | Green Sleeves (Anonyme) |
10 | Spero (Anthony Holborne) |
11 | Dump (John Johnson) |
12 | Lachrimae (John Dooland) |
13 | Passymeasure Galliard (John Daniel) |
14 | Galiarda (Thomas Morley) |
15 | A toy (Anonyme) |
16 | Trenchmore (John Johnson) |
17 | In Nomine XII "Crye" (Orlando Gibbons) |
18 | Corn Yairds (Anonyme, Rowallan mss) |
19 | A Gray's Inn, the First (Coperario) |
20 | Love is strange (Anonyme) |
21 | Canaries (Anonyme, Straloch mss) |
22 | Upon la mi re (Anonyme) |
Besetzung
Eric Bellocq, Massimo Moscardo, Benjamin Perrot, Vincent Dumestre – Lauten, Gitarre, Theorbe, Tiorbino, Mandora, Cister
Jean-Luc Tamby – Laute, Erzcister
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |