Reviews
Rock’n’Roll Runners
Info
Musikrichtung:
NWoBHM
VÖ: 17.12.2021 (1979-82) (High Roller) Gesamtspielzeit: 68:09 Internet: http://www.hrrecords.de |
Auf einen Bandnamen wie Toad The Wet Sprocket muß man auch erstmal kommen. Ideengeber war hier der von Monty Python bekannte Eric Idle, der in einem Solo-Sketch der Serie „Rutland Weekend Television“ eine fiktive Band dieses Namens auftreten ließ, vermutlich nicht im Traum damit rechnend, dass ein Quartett aus Bedfordshire diesen so kultig fand, dass sie ihn in den Mittsiebzigern für ihre höchst reale Band wählten. Schrägerweise hatte eine andere britische Band später die Idee, sich nach dem fiktiven Toad-The-Wet-Sprocket-Song „Ethel The Frog“ zu benennen, und die Geschichte wird noch kurioser: Die fiktive Band tauchte später nochmal in einem regulären Monty-Python-Sketch namens „Rock Notes“ auf, wo ihn eine amerikanische Band sah und in offensichtlicher Unkenntnis der zu dieser Zeit bereits auf dem Bandfriedhof ruhenden Briten gleichfalls beschloß, sich so zu nennen ...
Hier soll es um das britische Quartett bzw. temporäre Quintett gehen, das seit 1975 existierte, 1979 und 1980 je eine eigenveröffentlichte Single herausbrachte und schließlich 1982 die Aktivitäten einstellte. Toad The Wet Sprocket hatten gleich in mehrererlei Hinsicht strukturelles Pech. Sie verstanden sich selbst als Hardrockband, gerieten aber zunächst in die parallel rollenden Wellen von Punk einerseits und Disco andererseits, und als sie die Chance hatten, von der losrollenden NWoBHM zu profitieren, blieb es ihnen gleichfalls verwehrt, das Momentum zu nutzen, obwohl sie im Mai 1980 sogar eine aus vier Songs bestehende Session für die BBC aufnehmen durften, die dann am 27. Juni des gleichen Jahres über den Äther ging und die die Band quasi auf dem Höhepunkt ihres Schaffens zeigte.
Die vorliegende CD enthält vermutlich große Teile des veröffentlichungsfähig konservierten Tonmaterials von Toad The Wet Sprocket und ist nicht chronologisch sortiert, sondern hebt mit den vier Songs der erwähnten BBC-Session an. Der zum Titelsong dieser Compilation erkorene „Rock’n’Roll Runner“ ist nicht ganz so schnellfüßig unterwegs, wie man anhand des Titels erwarten könnte, erweist sich aber dennoch als patenter Hardrocker und macht auch bereits das Talent der Combo für einprägsame Refrains deutlich. „One Glass Of Whisky“ schraubt nicht nur das Tempo (zumindest in der zweiten Hälfte), sondern auch das Qualitätslevel noch eine Stufe nach oben, präsentiert Gitarrist Mark Ridout im Solo in Bestform und macht auch klar, wo eine passende Vergleichsband angesiedelt ist, nämlich auf der anderen Seite des Atlantik, in New York City: Riot klangen auf ihren ersten beiden Scheiben phasenweise ähnlich, wobei niemand erwarten sollte, dass Toad The Wet Sprocket etwa Proto-Speed im Stile des Narita-Titeltracks abliefern – aber Mark Reale hatte ja auch diverse siebzigerhardrocklastige Nummern auf Rock City und Narita verewigt, und da tun sich doch ein paar Parallelen auf, zumal Sänger Mick Mustafa kurioserweise wie ein Bastard aus Guy Speranza und Rhett Forrester, also den beiden ersten Riot-Frontleuten, klingt. Schnellste und auch stärkste Nummer von denen aus der Session ist „Big Deal“, im Solo phasenweise geschickt zurückschaltend und die Flitzefingerausbrüche dadurch besonders hervorhebend. „Just Another Game“ bietet stampfenden Midtempo-Hardrock, in dem die spannungserzeugende Beschleunigung kurz vor Toresschluß leider wirkungslos bleibt, wobei der Song selbst durchaus Hörspaß macht.
Die nächsten fünf Songs der Compilation sind herkunftsseitig unklar. Weder einer der gängigen Lexikoneinträge noch das Booklet gibt Auskunft, obwohl letzteres eigentlich vorbildlich gestaltet ist, zahllose historische Fotos und Dokumente, fast alle Lyrics sowie eine ausführliche Bandhistory aus der Feder von John Tucker auffährt, wobei in letzterer aber kein Wort über die nicht der Session oder den Singles entstammenden Tracks fällt. Auch die zeitliche Stellung bleibt unklar. „Do It For Me“ scheint live oder bei einer Probe mitgeschnitten worden zu sein, denn hier wird nach einigen Takten abgebrochen, es kommt eine Ansage, und dann geht es neu los. Der Song gebärdet sich zunächst schleppend im Stile von Rainbows „Stargazer“, wird aber im Finale deutlich schneller und macht richtig Hörspaß. „I Never Wanted To Be Loved“ muß eine späte Nummer sein, da hier ein Mensch namens Harrison als Co-Songwriter genannt ist – gemäß den Liner Notes ist das Ian „Sparky“ Harrison, der Ende 1980 oder noch später als Keyboarder einstieg und auch das Management übernahm, aber die Band eher verunsicherte als vorwärtsbrachte, was freilich nicht auf diese ebenfalls sehr hörenswerte Nummer zutrifft, die Boogie- und Metalelemente koppelt. Soliden, aber nicht weiter aufregenden Hardrock fahren „Baby“ und „Pleasure And Pain“ auf, wobei in letzterem die Backingvocalstruktur im Refrain auffällt. „Rock’n’Roll Runner“ kommt dann ein zweites Mal zu Ehren, diesmal als Demofassung, die der Sessionfassung fast noch ein wenig überlegen ist, da der Vorwärtsdrang des Refrains einen Deut stärker ausgeprägt ist.
Das nun folgende Material der beiden Singles ist reziprok chronologisch angeordnet, wir hören zunächst also die beiden Songs der zweiten Single, beginnend mit „Reaching For The Sky“, das die Lexikoneinträge übereinstimmend als besten der damals offiziell konservierten Songs bezeichnen. Sänger Mick geht d’accord, indem er in den Liner Notes äußert, das sei der Song gewesen, auf den bei Konzerten immer alle gewartet hätten. Was wie recht flotter NWoBHM mit trotz galoppierenden Drumeinlagen von Martin Wightwick unüberhörbaren Wurzeln in den Siebzigern anhebt, entwickelt sich im Mittelteil zu einer recht vielschichtig arrangierten Nummer, die bestätigt, dass sich die Combo damals durchaus auch auf Progrockwurzeln besann. „One Glass Of Whisky“, die einstige B-Seite, bestätigt das, klingen Toad The Wet Sprocket speziell in dieser Version doch phasenweise wie eine metallischere Adaption von Rush. Einen völligen Kulturschock stellt dann allerdings das Material der ersten Single dar. „Pete’s Punk Song“ fährt durchaus keinen Punk auf, segelt also unter falscher Flagge, und das ist für eine junge Band auf ihrem ersten offiziellen Tonzeugnis noch nie eine gute Strategie gewesen. Statt dessen gibt es hier boogiebeeinflußten Rock mit markantem Piano von Pip Domino (hinter diesem Pseudonym verbarg sich Nick Ridout, Marks jüngerer Bruder) zu hören, nicht schlecht zwar, aber irgendwie so gar nicht zum Rest des Bandschaffens passend, mit Ausnahme der B-Seite „Feel It“. Da gibt’s nämlich Funkrock im Stile von Mother’s Finest zu hören – gemäß Bassist und Bandkopf Pete Austin sah sich die Band damals tatsächlich auch stark funkbeeinflußt, aber die Anhängerschaft dürfte auch von dieser Nummer eher irritiert gewesen sein.
Noch problematischer wird die Lage mit „Blues In A“. Das ist tatsächlich Bluesrock, der im Zuge der bekannten Siebziger-Wurzeln der Band nicht ungewöhnlich anmutet – das Problem war, dass der DJ Neal Kay diese Nummer so sehr liebte, dass er sie auf den von ihm zusammengestellten Metal For Muthas-Sampler packte, wo sie inmitten von vorwärtsdrängenden Metalbands mit Iron Maiden an der Spitze einen völligen rückwärtsgewandten Fremdkörper darstellte und viele potentielle Anhänger eher von einem Antesten des anderen Material von Toad The Wet Sprocket abgeschreckt haben dürfte. „Reaching For The Sky“ wäre, so auch Mick im Booklet, die definitiv bessere Wahl gewesen, aber so ging der Schuß nach hinten los, obwohl „Blues In A“ definitiv kein schlechter Song ist, wenn man ihn sozusagen wertfrei hört. Er sticht natürlich auch auf dieser Compilation ähnlich stark heraus wie das Material der ersten Single, während der Rest bis einschließlich Track 11 (sogar inclusive des ein klein wenig abweichenden „I Never Wanted To Be Loved“) stilistisch relativ homogen ausfällt und sich im Übergangsfeld vom Siebziger-Hardrock zur NWoBHM positioniert, wo die Songs eine gute Figur machen.
Praktisch nichts herauszubekommen ist im Booklet über die drei letzten Songs. „Heart And Mind“ ist zweigeteilt, arbeitet im ersten Teil geschickt mit Akustikelementen und entstammt offensichtlich auch der „Rush-Phase“ der Band, wobei der Metalfaktor hier geringer ausfällt als in „One Glass Of Whisky“, trotz markanter Beschleunigung und Härtung im zweiten Teil, die freilich auch nicht durchgeht, sondern mit Halbakustikbreaks wirkungsvolle Kontraste setzt. Kurioserweise klingen die flotteren Teile ein wenig wie eine rocklastigere Version der Münchener Freiheit zu Licht- oder Herzschlag einer Stadt-Zeiten – das dürfte purer Zufall sein, denn dass Zauner & Co. die zu dieser Zeit (die beiden erwähnten Alben erschienen 1983 bzw. 1984) bereits aufgelöste britische Formation gekannt haben könnten, dürfte sehr wenig wahrscheinlich sein, von der Frage ganz abgesehen, ob von „Heart And Mind“ überhaupt irgendwo eine veröffentlichte Fassung existierte. Ein bißchen Yes gibt’s im Finale des zweiten Teils dann auch noch, das allerdings etwas unkreativ ausgeblendet wird. Als letzter Song der CD fällt „Charlie“ nochmal komplett aus dem Rahmen – eine Harrison-Alleinkomposition und die vermutlich späteste Aufnahme der Band, die 1982 auf der eher obskuren Lend An Ear 1992?-Compilation der nicht weniger obskuren Firma Vroom Records erschien, wie der kundige Malc Macmillan weiß. Das Teil ist mit Cover und Backcover zwar im Booklet abgebildet, aber erst unter Zuhilfenahme einer Lupe kann man die Tracklist und die Credits entziffern und stellt fest, dass Harrison auch als Produzent genannt wird und die anderen Bands nicht unbedingt dem metallischen Spektrum angehört und/oder keine eigenständige Veröffentlichung herausgebracht zu haben scheinen – zumindest hat keine von ihnen einen Eintrag in Macmillans Enzyklopädie, und da ist wirklich fast alles drin. Im Anhang behandelt er den Sampler tatsächlich auch gesondert und stellt fest, dass man ihn für kleines Geld erwerben könne, aber keine Wunderdinge erwarten solle und schon gar keinen NWoBHM oberhalb einer gewissen Kernigkeitsgrenze. In „Charlie“ gibt es jedenfalls wieder eine Art Progpop mit Boogie- und Funk-Elementen sowie einem markanten Saxophon zu hören, zwar alles andere als schlecht, aber nun ganz und gar nicht das, was man von einer Band erwartete, die zwei Jahre zuvor mit „Reaching For The Sky“ vielversprechenden Ur-Metal abgeliefert hatte. So löste sich die Formation 1982 sang- und klanglos auf, und im Gegensatz zu Millionen anderer alter Bands scheint es hier bisher auch keine Reunion gegeben zu haben. Wen die gelegentlichen stilistischen Bocksprünge nicht stören und wer auf der Suche nach interessantem Material nicht nur an der Zeit-, sondern auch an der Stilgrenze Siebziger/Achtziger ist, der könnte mit den 68 Minuten Musik hier glücklich werden, zumal Patrick W. Engel beim klanglichen Aufarbeiten des Materials einen sehr guten Job gemacht hat.
Roland Ludwig
Trackliste
1 | Rock’n’Roll Runner (BBC Friday Rock Show) | 3:33 |
2 | One Glass Of Whisky (BBC Friday Rock Show) | 5:34 |
3 | Big Deal (BBC Friday Rock Show) | 5:06 |
4 | Just Another Game (BBC Friday Rock Show) | 4:12 |
5 | Do It For Me | 4:41 |
6 | I Never Wanted To Be Loved | 2:45 |
7 | Baby | 2:58 |
8 | Pleasure And Pain | 4:19 |
9 | Rock’n’Roll Runner (Demo) | 3:03 |
10 | Reaching For The Sky | 5:24 |
11 | One Glass Of Whisky (Single) | 5:15 |
12 | Pete’s Punk Song | 2:47 |
13 | Feel It | 3:03 |
14 | Blues In A | 3:44 |
15 | Heart And Mind - Part 1 | 3:22 |
16 | Heart And Mind - Part 2 | 3:43 |
17 | Charlie | 4:47 |
Besetzung
Mark Ridout (Git)
Ian Harrison (Keys, 6, 17)
Nick Ridout (Keys, 12-14)
Pete Austin (B)
Martin Wightwick (Dr)
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |