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Infinte refrain - Music of Love´s Refuge
Info
Musikrichtung:
Barock / Oper
VÖ: 03.11.2023 (Signum / Note 1 / CD / 2022 / Artikelnr. SIGCD769) Gesamtspielzeit: 66:52 Internet: Randall Scotting Jorge Navarro Colorado |
KLEINE FLUCHTEN
Als Zufluchts- und Sehnsuchtsort der Schwulen, Nicht-Binären, Genderfluiden und aller anderen Queers stellen uns Countertenor Randall Scotting und Tenor Jorge Navarro Colorado das Venedig des 17. Jahrhunderts vor. Jenen Stadtstaat, der sich als Republik von den Einflüssen der Kirche freimachte, um des Handels und der Wirtschaft willen tolerant gab und zudem mit den Maskenspielen des Karnevals all jenen die Möglichkeit gab, sich auszuleben, die im Rest Europas und im Rest ihres Lebens Entdeckung und Strafe fürchten mussten. Und wo hätte dies alles trefflicher kulminiert als in der Oper mit ihren Kastraten, ihren Rollenkonfusionen und mehr der minder subtilen homoeroitischen Anspielungen aus der Mythologie, die uns heute oft verschlossen bleiben, den Gebildeten jener Zeit aber unschwer ersichtlich waren?
Scotting selbst hat vor diesem Hintergrund ein Programm konzipiert, das - unter durchaus "camp" zu nennendem Cover - Duette und Arien aus diesem Umfeld vereint. Nicht selten Stücke, die das erotische Ziel bewusst offen lassen, wobei die Nicht-Nennung sehr wohl explizit wirken konnte. Wir treffen auf Bekanntes von Monteverdi und Cavalli, aber auch auf exotischeres Repertoire von Castrovillari, Boretti oder Jacopo Melani, dem Bruder des legendären Kastraten Atto Melani.
Das ist nicht nur geschickt zusammen- und gegenübergestellt, sondern auf der Basis der Instrumentalbegleitung durch die Academy of Ancient Music auch trefflich musiziert. Navarro Colorado überzeugt mit kraftvoller, beinahe baritonal gefärbter Tenorstimme. Scotting macht sein Zuviel an Lamentoso durch einen sehr persönlich gefärbten Vortrag und eine samtig-dunkle Timbrierung des Countertenors meistensteils wett.
Man hat manches gewiss schon präziser, anderes geschmeidiger gehört, aber selten in dieser Ballung und Aufladung des mann-männlichen Duetts. Das Album kann dann auch nicht anders enden als mit dem "Pur ti miro", jenem Schlussduett aus Monteverdies Poppea, in dem die verruchte Leidenschaft, die sich über Sitte, Anstand, Moral, Staatsäson hinwegsetzt (und in diesem Fall sogar über Leichen geht), ihren Triumph feiert - die beiden Sänger zelebrieren das mehr als genussvoll, lasziv und trotzdem oder gerade deshalb glaubhaft.
Nicht zuletzt dank des kundigen Booklettexts eine spannende Reise, die die "Serenissima" von einer heute kaum noch bekannten Seite zeigt.
Sven Kerkhoff
Trackliste
Jacopo Melani: Da torbido membo
Tarquinio Merula: Ballo detto Pollicio (instrumental)
Daniele da Castrovillari: Dove m'ascondo
Francesco Cavalli: Io resto solo?...Misero, cosi va
Girolamo Frescobaldi: Toccata Quarta für Cembalo
Giovanni Antonio Boretti: Crudo Amor; Entro l'orrida mole...Se per te lieto mi lice
Alessandro Stradella: Oh quanti soli..l. Cosi sta
Giovanni Legrenzi: Ballo del Granduca (instrumental)
Besetzung
Jorge Navarro Colorado: Tenor
Academy of Ancient Music
Laurence Cummings: Cembalo & Leitung
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |