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Un secolo cantate. The Rise of Venetian Opera
Info
Musikrichtung:
Barock / Oper
VÖ: 03.11.2023 (Arcana / Note 1 / CD / DDD / 2022 / A553) Gesamtspielzeit: 59:04 |
EMOTIONALES AUQA ALTA
Auf dieser Produktion über den Aufstieg der venezianischen Barockoper herrscht emotional „aqua alta“, Hochwasser: Gleich im eröffnenden Ritornell aus dem Prolog von Francesco Cavallis „L’Ormindo“ setzen die konzertierenden Violinen prickelnde Akzente, bevor die allegorische Figur der L’Armonia ihre Herrschaft über die Opernbühnen der Lagunenstadt mit virtuoser Vehemenz proklamiert.
Sopranistin Emmanuele de Negri gestaltet hier mit einer differenziert dramatischen, gelegentlich etwas scharfen Tongebung, wie sie auch im Folgenden den diversen Figuren, z. B. der verführerischen Poppea aus Monteverdis Oper gleichen Titels, eher energische denn liebreizende Töne verleiht. Aber treffliche Charakterisierungen sind in dieser frühen Phase der Oper den Figuren oft dienlicher als jener Belcanto, der für die späte Blüte der Barockoper steht.
Tenor Zachary Wilder steht De Negri in punkto Leidenschaftlichkeit nicht nach, wenn er das ariose Lamento eines hin- und hergerissenen unglücklich Verliebten von Benedetto Ferrari singt, gekonnt wechselnd zwischen passionierter Deklamation und Kantabilität.
Mit diesem Einstand ist gewissermaßen das Vorzeichen gesetzt für alles weitere, was folgt. Ausgehend von Claudio Monteverdi und der Generation seiner Schüler brennen die Akteurinnen und Akteure von „Le Stagioni“ unter der Leitung von Cembalist und Organist Paolo Zanzu ein Feuerwerk der Affekte ab. Die ausgewählten Szenen unter anderem aus Werken Francesco Cavallis, Francesco Sacrati, Bernedetto Ferraris oder eben Monteverdis folgen Schlag auf Schlag aufeinander. Instrumentale Intermezzi von Marco Uccelinis fügen sich bruchlos ein und Dank des übergreifenden Stils entsteht fast der Eindruck eines Opern-Pasticcios.
Das hat Tempo, Witz, Wucht und Drama, lässt einen auch immer wieder staunen ob der Vielfalt von Typenzeichnungen und szenischen Effekten, auf das bloß keine menschlich-allzumenschliche Facette unbeleuchtet bleibe. Selbst die Religion kommt zu ihrem Recht, wenn de Negri das berühmte Lamento der Arianna von Monteverdi in einer Kontrafaktur des Komponisten als Klage Mariens unter dem Kreuz singt.
Bis auf die Weltersteinspielung einer komischen Bassarie aus der Feder von Michelangelo Brunerio, potent vorgetragen von Salvo Vitale, wurde dieses Repertoire ja schon vielfach von kompetenten Interpret:innen erschlossen. Doch klingt es hier wahrlich feinnervig und vital. Man hört die Freude und Hingabe, mit der die instrumentalen und vokalen Darsteller:innen bei der Sache sind. Diese einstündige venezianische Opernsuite ist ein gelungenes Plädoyer für eine der kreativsten und unterhaltsamsten Epochen der Musiktheatergeschichte.
Georg Henkel
Trackliste
Benedetto Ferrari: Cielo sia con tua pace aus "Musiche varie a voce sola, libro sedondo"
Claudio Monteverdi: Speranza, tu mi vai aus "L'incoronazione di Poppea"; Sono l'altre regine aus "Il ritorno d'Ulisse in patria"; Pianto della Madonna aus "Selva morale e spirituale"
Marcu Uccellini: Corrente sesta detta La Corsetta; Corrente Terza detta L'Incostante; Corrente Nona detta La Simona
Francesco Sacrati: Guerrieri, all'armi, all'armi aus "La finta pazza"
Michelangelo Brunerio: Nella musica del mondo aus "Bassi concenti"
Barbara Strozzi: Dialogo in pertenza aus "Il primo libro dei madriagli"
Besetzung
Le Stagioni
Paolo Zanzu, Cembalo, Orgel & Leitung
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |