Reviews

Bach, J. S. (Aimard, V.)

Suiten für Cello

Info Musikrichtung: Barock / Cello VÖ: 06.10.2023 (Enphases / Note 1 / 2 CD / DDD / 2022 / ENP014) Gesamtspielzeit: 156:17

Mit einem vollen, schönen und gelassenen Ton spielt die Cellistin Valérie Aimard Bachs große Suiten – ganz offenkundig ist ihr diese Musik eine Herzensangelegenheit, der sie sich sinnend und mit Hingabe widmet. Denn Bach ist für sie nicht nur der oft beschworene „5. Evangelist“, nein bei dieser Musik „jenseits des Menschen“ muss Bach schon vor dessen Erschaffung existiert haben, wie sie im Booklettext anmerkt! Bach, ein Christus der Musik!? Ob man diesem gewagten Bekenntnis wirklich folgen möchte, möge jede/r für sich entscheiden. Wie auch immer das Ergebnis aussehen mag: Es bleiben die Musik und ihre Interpretation, der man sich jenseits von quasireligiösen Überhöhungen widmen kann.

Bach ist bei Aimard ein ein Sänger – aber kein Tänzer. Auf dem Fundament eines geschmeidigen Legatos und bei sparsamen Vibratoeinsatz strömt die Musik bei ihr in großzügigen melodischen Bögen dahin; auch die Phrasierung und Artikulation ordnen sich dem Fluss des Melos unter.

Wobei instrumentenbedingt ein sozusagen natürliches Trägheitsmoment hinzukommt: Die Tempi wirken eher breit und gemessen. Dabei hat Bach die Musik wohl für ein Schultercello geschrieben, das wie eine Violine gehalten und gegriffen wird, was trotz des tiefen Timbres ein virtuoses Spiel ermöglicht, das auf dem heute üblichen Cello mühsamer zu realisieren ist.

Aimards verwendet ein ursprünglich barockes Instrument mit einem Bogen des 19. und Saiten des 21. Jahrhunderts – dennoch gibt es viele vergleichbare moderne Einspielungen auf dem klassischen Cello, die die tänzerische, virtuose, konzertante Dimension der Musik herausbringen. Und die, Dank lebendiger Artikulation, auch mehr zu erzählen haben. Doch hier spricht die Musik nur wenig, bleibt ein Lied ohne Worte. Über die Dauer einer Gesamtaufführung des Zyklus stellt sich so eine gewisse Gleichförmigkeit ein. Bach der Sänger ist eben nur die halbe Wahrheit.

Georg Henkel