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Reviews

Chariot

History Lesson – The Complete Anthology Of Chariot


Info

Musikrichtung: Hard Rock / Metal

VÖ: 03.09.2021 (1985/87)

(Roxx)

Gesamtspielzeit: 69:05

Internet:

http://www.roxxproductions.com

Zu den zahllosen gutklassigen Acts, die es im US-Underground der Achtziger nie auf einen regulären Albumrelease brachten, zählten auch Chariot. Vier Demos spielten sie zwischen 1985 und 1989 ein, und Step Into Light, das zweite, original 1987 aufgenommene, erschien 1989 sogar in überarbeiteter Form noch einmal auf Armor Records, allerdings abermals nur auf Kassette – Vinyl oder Silizium blieben Fremdworte für das Quartett, jedenfalls bis 2021, als die CD History Lesson erschien, die das Material der ersten zwei Demos bündelt. Der Untertitel The Complete Anthology Of Chariot irritiert dahingehend etwas, aber er müßte gedanklich noch etwas erweitert werden, nämlich in Richtung The Complete Anthology Of The Classic Line-Up Of Chariot, da die beiden späteren Demos in anderer Besetzung eingespielt wurden. Ob auch sie noch re-releast werden, bleibt abzuwarten.

Derweil bleibt also nur, die 69 Minuten Musik der ersten beiden Demos zu betrachten. Die vier ursprünglichen Mitglieder hatten allesamt schon in den Spätsiebzigern und Frühachtzigern in Bands gespielt, ehe sie erst zum christlichen Glauben fanden und dann als Chariot zusammenkamen, um in Zukunft ihre Liebe zur Musik und ihre neue Überzeugung zu verbinden und letztere in die Welt hinauszutragen. Dementsprechend hieß das 1985er 9-Track-Demo dann auch Tell The World – ob die vier Floridaner wußten, dass die Glaubensbrüder Philadelphia kurz vorher ihr Debütalbum Tell The Truth genannt hatten, muß offenbleiben. So weit lagen beide Combos allerdings auch musikalisch nicht auseinander. Chariot siedelten an der Grenze vom klassischen Hardrock zum Metal und legen mit dem flotten „Constant Confusion“ auch gleich gepflegt los. Das folgende „Don’t Forget The Love“ läßt im Intro einen Einfluß anklingen, den die Bandmitglieder schon aus ihrer prä-christlichen Zeit mitbrachten, nämlich Van Halen, entwickelt sich dann allerdings auch zu einem zügigen Reißer. „I Can See“ erinnert mit seiner epischen Anlage ein wenig an Magnum, wobei Chariot indes ohne Keyboards arbeiteten. Sie hatten mit Louis Filardo allerdings auch nur einen Gitarristen, und so legten sie einige Soli von vornherein ohne daruntergebaute Rhythmusgitarre an, wie es auch der Livedarbietung entsprochen haben dürfte. Auf den Demotracks lassen sich hier und da noch ganz leichte Siebziger-Reminiszenzen finden, auch der andernorts gezogene Vergleich zu Y&T ist nicht von der Hand zu weisen, und das zwischen ruhigen und zupackenden Parts changierende „On And On“, mit 5:40 Minuten der längste Track im hier konservierten Schaffen der Band, erinnert an ähnlich aufgebaute Tracks der Scorpions. Erstaunlicherweise bildet der Quasi-Titeltrack „Go Tell The World“ das am weitesten rückwärtsgewandte Stück und mit seinen parallel geführten Gitarren- und Baßlinien auch das am wenigsten spannende. Da macht ein Tempoknaller wie „Survive“ mit seinem frenetischen Hauptsolo deutlich mehr Hörspaß, wenngleich er auch einer der Songs ist, denen man anhört, dass die Gesangslinien von Paul Aviles hier und da noch nicht ganz exakt an die instrumentalen Vorgaben angepaßt worden sind – dieser Eindruck beginnt schon im Opener „Constant Confusion“ und hat nichts mit der grundsätzlichen Qualität der Songs zu tun; bei einer „richtigen“ Aufnahme hätten die Verantwortlichen sicherlich noch ein wenig an den Stellschrauben gedreht. Auch Drummer Bruce Fleming wirkt mit seinen häufigen Wirbeln hier und da ein wenig übermotiviert, was bei einer „richtigen“ Aufnahme sicherlich noch kanalisiert worden wäre. Die neun Songs dienten allerdings lediglich zu Promozwecken, in den regulären Verkauf gelangte dieses Tape nicht.

Etwas größere Verbreitung erreichte Step Into Light, wobei die beiden Tapeversionen unterschiedliche Songreihenfolgen aufweisen und auf einem Exemplar der 1989er Zweitauflage im Besitz von Olaf Becker sogar der Titeltrack fehlen soll, den die gängigen Nachschlagewerke aber ansonsten für die B-Seite des Tapes angeben. Auf der 1987er Fassung, deren Reihenfolge für den Re-Release gewählt wurde, steht „Step Into Light“ jedenfalls gleich am Anfang, und das ist auch gut so, macht der Song doch einerseits einen produktionstechnischen Sprung deutlich, andererseits aber auch eine kleine stilistische Verschiebung weg vom Hardrock (und ganz weg von den Siebziger-Einflüssen) und hin zum Melodic Metal. Hier gibt es erstmals Backing Vocals, das Riffing siedelt klar in den Achtzigern, und die beiden oben angesprochenen Punkte sind tatsächlich behoben worden: Fleming spielt immer noch viele Fills, aber deutlich songdienlicher, und Aviles‘ Gesang thront nunmehr paßgenau über dem, was Alleinkomponist Filardo instrumental druntergebaut hat. Auch von der Ausdruckskraft her gestaltet der Vokalist seinen Beitrag hier deutlich vielseitiger und expressiver, und die Stimmfärbung erinnert bisweilen an Norbert Schmidt von Formel 1, wobei nicht davon auszugehen ist, dass man die DDR-Metal-Legende im Florida der Mitt- und Spätachtziger überhaupt kannte. Die historische A-Seite des Tapes enthält ausschließlich Treffer: den erwähnten, noch unter der Speedgrenze bleibenden Titeltrack, das treibende Midtempo-Stück „Wise Eyes“, das episch-breite „Voice In The Wind“ (ausstaffiert auch tatsächlich mit Windgeräuschen und mit 5:08 Minuten den längsten Beitrag dieses Demos darstellend) und den Speedknaller „2000“, dem lediglich ein noch aussagekräftigeres Hauptsolo zu wünschen gewesen wäre. Die Lyrics für die beiden letztgenannten Songs stammen nicht von Aviles, der diesen Job sonst erfüllte, sondern von John Sauchelli, dem Soundmann der Band. Auf der B-Seite des Tapes können Chariot dieses Niveau nicht ganz halten, aber gut hörbar sind auch die dort verewigten vier Songs allemal, wobei hier ausschließlich stampfendes Midtempo in nuancierter Variation gepflegt wird (vielleicht war das der Grund für die veränderte Reihenfolge auf dem 1989er Re-Release des Tapes – der Grad an Abwechslung wurde größer). Neben den bereits erwähnten Philadelphia springen auch die frühen Guardian gelegentlich als Vergleich ins Hirn, wobei die zu besagtem Zeitpunkt aber noch gar nicht aktiv waren (da gab es noch den Vorläufer Gardian). „Know For Sure“ und „Truth“, die beiden letzten Songs, stammen aus einer anderen Aufnahmesession als die sechs davor befindlichen Tracks, aber einen entscheidenden Soundunterschied hört man nicht – entweder bereits gute Anpassungsarbeit der originalen Soundfraktion oder aber Ausgleich von Rob Colwell beim Remastern des CD-Releases, der auch generell einen guten Job getan hat und lediglich beim offenbar etwas beschädigten Tape am Ende von „Survive“ an Grenzen stieß. „Truth“ landete auf dem Tape-Sampler White Metal Invasion und „Step Into Light“ auf dem Underground Metal-Sampler, aber entscheidende Karriereschritte konnten Chariot letztlich nicht erzielen.

Der Re-Release kommt mit allen Lyrics, gleich doppelten Liner Notes (von Roxx-Records-Chef Bill Bafford sowie von Olaf Becker, einem der wohl besten Kenner der internationalen christlichen Metalszene – an dieser Stelle eine Empfehlung, das Interview mit ihm in RockHard 1/2023 zu lesen) sowie zahlreichen historischen Fotos und Dokumenten, wobei letztere leider teilweise nur mit einer Lupe zu entziffern sind. Immerhin findet sich mit einem Interview im Light-Attack-Magazin sogar ein deutschsprachiges Feature. Einige kuriose Fehler hätte man allerdings durchaus noch finden und beseitigen können, etwa wenn Bassist Jim Pappadeas in der Besetzungsangabe in der Mitte des Booklets zu Poppodeas mutiert oder der Song „Know For Sure“ gleich drunter zu „Lnow For Sure“. Außerdem dauert „Nothing’s Changed“ laut Tracklist auf der Rückseite 3:64 Minuten (wobei das anhand der realen Länge von 4:04 Minuten rechnerisch sogar stimmt, aber dann könnte man beispielsweise auch behaupten, die Spielzeit der gesamten CD betrüge 68:65 Minuten). Den grundsätzlich positiven Höreindruck trüben diese Probleme aber nicht – im Gegenteil: Wer auf den Spuren des frühen christlichen Metals made in USA wandeln möchte oder wer sich generell zwischen Hardrock und melodischem Metal wohlfühlt, der wird mit dieser Geschichtsstunde sicher glücklich werden und hoffen und beten, dass es auch noch die beiden späten Chariot-Demos ans Licht der Öffentlichkeit schaffen.



Roland Ludwig

Trackliste

1Constant Confusion3:34
2Don’t Forget The Love3:18
3I Can See3:19
4One More For Heaven3:15
5On And On5:40
6Look4:09
7Survive4:31
8Go Tell The World4:15
9For You3:45
10Step Into Light4:01
11Wise Eyes3:20
12Voice In The Wind5:08
1320003:43
14Nothing’s Changed4:04
15Reflections3:03
16Know For Sure4:10
17Truth4:51

Besetzung

Paul Aviles (Voc)
Louis Filardo (Git)
Jim Pappadeas (B)
Bruce Fleming (Dr)
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So bewerten wir:

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19 bis 20 Überflieger