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Leçons de ténèbres
Info
Musikrichtung:
Barock / geistliche Musik
VÖ: 05.05.2023 (Ricercar / Note 1 / CD / DDD / 2022 / RIC 454) Gesamtspielzeit: 71:25 |
LYRISCHE DEKLAMATION
Hört man die "Leçons de ténèbres" von Charles-Joseph van Helmont aus dem Jahr 1736, dann erlebt man Religion des Spätbarock von ihrer sinnlichsten Seite. Zwar schwiegen auch im Barock in der vorösterlichen Fastenzeit die Oper und andere weltliche Musikvergnügungen, doch das bedeutete nicht unbedingt einen generellen Verzicht auf Musik. Im Gegenteil: Die "beurlaubten" professionellen Sängerinnen und Sänger standen für die Aufführung vokal anspruchsvoller geistlicher Werke zur Verfügung.
In Frankreich beispielsweise füllten sie statt der Auditorien der Opernhäuser jetzt die Schiffe jener Kirchen, in denen sie insbesondere während der Karwoche die berühmten biblischen Klagegesänge des Propheten Jeremias anstimmten. Jeweils drei solche gesungenen Lektionen (Leçons), standen am Mittwoch, Donnerstag und Freitag vor Ostern auf dem liturgischen Programm, im Kontext von „Düsteren Metten“, bei denen nach und nach die Kerzen gelöscht wurden.
Insbesondere in Frankreich hatte diese Gattung eine lange Tradition, sie wurde auch im benachbarten Belgien gepflegt, wo der 1715 geborene van Helmont zunächst Kantor an der Brüsseler Hofkirche war, bis er 1741 die Nachfolge von Joseph-Hector Fiocco an der dortigen Kathedrale antrat. Über 500 Werke sind von ihm überliefert.
In seiner Vertonungen der Leçons-Texte wahrt van Helmont die Form in so weit, als er die Stücke durchweg für eine „asketische“ Besetzung für Sopran und Contiuno komponiert hat. Diese Beschränkung hält ihn aber nicht davon ab, die Deklamation durch melodische Formeln und Verzierungen so zu entfalten, dass sie zu einem scheinbar unendlichen Arioso aufblüht. Der Beginn der ersten Leçon vom Mittwoch erinnert dann fast an eine Händelarie. Doch die weitere Entwicklung und vor allem die reichlichen und manchmal unvermuteten Ornamente haben dann doch deutlich einen sehr französischen Akzent. Der überwiegend elegisch-getragene Tonfall schließt dramatische Spitzen keinesfalls aus, dies vor allem bei den Lektionen für Gründonnerstag und Karfreitag. 1756 hat van Helmont zwei der Stücke noch mal überarbeitet, sie dem damals in Mode gekommenen galant-empfindsamen Stil angepasst und mit einer obligaten Cello-Stimme ergänzt.
Die Einspielung von Scherzi Musicali unter Nicolas van Achten bringt auch diese jüngeren Fassungen als Alternativversion und zeichnet so auch die stilistische Entwicklung des Komponisten nach.
Die drei Soprane Wei-Lian Huang, Deborah Cachet und Griet de Geyter nehmen durch ihr leuchtendes Timbre für sich ein. Gleichwohl wahren sie eine klare, schlanke Tongebung und kosten die melodische Expansion ebenso wie die expressiven Höhepunkte eindringlich aus.
Die schöne historische Orgel von Guillaume Robuscelly von 1775, die auch in Zwischenspielen Zäsuren setzt, sowie die mit Bedacht ausgewählten Begleitinstrumente wie Gambe, Theorbe oder Cembalo begleiten auf entsprechendem Niveau.
Fazit: Ein überzeugendes Plädoyer für dieses randständige, aber keineswegs uninteressante Repertoire.
Georg Henkel
Trackliste
Besetzung
Scherzi Musicali
Nicolas Achten, Orgel & Leitung
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |