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„Auprès du feu l’on fait l’amour“- Airs sérieux & à boire
Info
Musikrichtung:
Barock / Gesang & Ensemble
VÖ: 05.05.2023 (CVS / Note 1 / CD / DDD / 2022 / CVS089) Gesamtspielzeit: 76:29 |
MUSIKALISCHE VISITENKARTEN VON FRANKREICHS BAROCK-ENGEL
Seine 40 überlieferten „Airs sérieux & à boire“ scheint Marc-Antoine Charpentier nicht als substantiellen Teil seines Werks angesehen zu haben. Sie finden sich nämlich bis auf eine Ausnahme nicht in den 28 Manuskriptbänden, in denen der „Engel des französischen Barock“ sein großartiges Lebenswerk umfassend dokumentiert hat: geistliche Musik, Oratorien und Messen wie auch einige Bühnenmusiken und Opern.
Die „ernsten Arien“ oder weinseligen „Trink-Lieder“ waren für ihn wohl mehr Gelegenheitswerke oder musikalische Visitenkarten, die in Sammelbänden oder Zeitschriften veröffentlicht wurden. Sie gehören aber wie seine übrigen Werke zu den besten Beispielen ihrer Art und verströmen einen bezwingenden Charme. Wer muss nicht lächeln, wenn er das kokette titelgebende „Auprès du feu l’on fait l’amour“ hört? Wen wird das tieftraurige „Tristes déserts, sombre retraite“ unberührt lassen? Und enthalten die drei kurzen „Stances du Cid“ nicht eine ganze Oper en miniature?
Die Eleganz und Schlichtheit, die man der französischen Vokalmusik nachsagt, kann ein ungeahntes dramatisches Potential entfalten. Freilich bedarf es bei den kurzen Stücken Charpentiers einer interpretatorischen Einfühlung und Fantasie, um die einkomponierten frechen, klagenden, verträumten und verliebten Stimmungen ausdrucksvoll zu realisieren.
Genau hier setzt diese neue Referenzeinspielung des Cembalisten-Dirigenten Stéphane Fuguet Maßstäbe. Mit der Kammerformation seines Ensembles „Les Épopées“ präsentiert Fuguet insgesamt 29 Airs Charpentiers in ebenso geschliffenen wie plastischen Darbietungen. Die Musikerinnen und Musiker entdecken ungeahnte Details und reizen dabei die interpretatorischen Grenzen und Freiräume aus, ohne zu überziehen. Damit knüpfen sie an die kostbaren, nach wie vor gültigen Einspielungen z. B. von William Christie und "Les Arts Florissants" an und entwickelt diese weiter.
Schon das Continuo (Cembalo, Gambe, Bassgeige, Theorbe, Gitarre) wird improvisierend so ausgestaltet, dass daraus ein regelrechter obligater Begleitsatz wird. Die meist solistischen Singstimmen, Sopran, hoher Tenor, Bariton und Bass, unterstreichen mit vielen natürlich eingewobenen Verzierungen und pointierten deklamatorischen Interventionen die Einfallskraft des Komponisten bei der Ausdeutung der dichterischen Vorlagen.
Vor allem die deftigen Trinklieder geraten oft zu regelrechten musikalischen Sketchen, voller skurriler lautmalerischer Effekte und virtuoser Komik. Das ist Vokaltheater, sehr barock, ab trotz der volkstümlichen Anklänge mit höfischen Esprit. Aber auch die ernsten Stücke werden auf eine imaginäre Bühne gestellt, verbreiten echtes Pathos und rühren ans Herz.
Reflexschnell wechseln die zwei Sängerinnen und drei Sänger die Register. Man lässt von den geschmeidigen Sopranen Claire Lefilliâtres und Gewedoline Blondeels um den Finger wickeln und staunt über die vokalen Maskeraden des Bartion Marc Mauillon. Ergriffen lauscht man dem intensiven Tenor-Timbre von Cyril Auvity oder freut sich an den sonoren Basstiefen des Geoffroy Buffìere. Die tiefen Stimmen sind allerdings weniger gefordert, da Charpentier überwiegend für die populäre Sopranlage und seine eigene hohe Tenorstimme geschrieben hat: Gesungen hat er seine Airs offenbar selbst sehr gerne!
Georg Henkel
Trackliste
Besetzung
Les Épopées
Stéphane Fuget, Cembalo & Leitung
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |