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Streichtrio op. 45 - Quintett für Klarinette, Fagott, Violin, Cello und Klavier
Info
Musikrichtung:
Klassische Moderne / Kammermusik
VÖ: 11.04.2023 (Alpha / Note 1 / CD / DDD / 2021 / Alpha) Gesamtspielzeit: 49:58 |
ZWISCHEN LEBEN UND TOD
Das Quintett für Klarinette, Fagott, Violine, Cello und Klavier des 1907 in Kiew geborenen schweizerischen Komponisten Constantin Regamey ist ein wirklich bemerkenswertes Stück: Regamey war als Komponist weitgehend Autodidakt und schrieb sein Opus 2 1944 in Warschau, aufgeführt wurde es im Geheimen am 6. Juni, dem Tag der Landung der Alliierten in der Normandie. Regamey, der im Hauptberuf Philologe und Orientalist war, gehörte dem polnischen Widerstand an und versorgte diesen mit wichtigen Informationen. Als Inhaber eines Schweizer Passes genoss er gewisse Freiheiten, wie z. B. den Besitz eines Radios, entging auch dank seiner Staatsangehörigkeit nach seiner Verhaftung der Internierung in einem KZ.
Sein Quintett, ein technisch und musikalisch ausgereiftes, stilistisch eigenständiges Opus, verschmilzt auf faszinierende Weise die formale Klarheit und Virtuosität "klassischen" Komponierens mit einer individuellen Adaption der Zwölftonmusik, die hier melodisch ausdrucksvoll und farbig erscheint. Regamey wusste während seiner Arbeit an dem Stück nicht, ob er den nächsten Tag erleben würde und fühlte sich verpflichtet, ohne Rücksichten auf ein Publikum und dessen Erwartungen wesentliche Musik zu schreiben. Diese ist im besten Sinne extrem und "polyglott", ohne ins Eklektische oder Epigonale abzugleiten. Die Anklänge an Bekanntes erinnern eher an Masken, die den Irrsinn der äußeren Lebenssituation verbergen, der sich in der mitunter rasenden, dann wieder elegisch singenden oder bizarr humorvollen Musik gleichwohl ausdrückt.
Wie anders klingt dagegen Schönbergs Zwölftonmusik. Er komponierte im „Streichtrio, op. 45“ seine Erfahrungen eines (beinahe) tödlichen Herzinfarkts im Alter von 70 Jahren. Eine Injektion ins Herz rettete ihn. Vor allem der Anfang mit seinen kaltfeurigen Schocks und Entladungen zeichnet den Zustand zwischen Leben und Tod nach. Die Musik zuckt geradezu spasmisch, windet sich in Agonie, erlahmt, verdämmert, bäumt sich erneut auf. Zwischen den Schatten tonaler Musik und gleißenden Zwölftonentladungen entspinnt sich ein Prozess, der aus der Dunkelheit des Todes zurück ins fragile Leben führt.
Diese Aufnahme, die unter der künstlerischen Leitung des Cellisten Nicolas Altstaedt weitere starke Ausführende wie lya Gringolts (Violine), Lawrence Power (Viola), Reto Bieri (Klarinette), Bram van Sambeek (Fagott) und Alexander Lonquich am Klavier zusammenbringt, ist in der Reihe der Lockenhaus-Produktionen beim Label Alpha erschienen. Die unwirklichen Schwebezustände, die Schönberg den Zuhörenden im Trio zumutet, werden durch die Kirchakustik eher intensiviert. Gleichwohl ist der Eindruck frappierend, die schiere spielerische Energie beeindruckt ebenso wie die Fähigkeit, fein gestufte sangliche Töne anzuschlagen.
Drive und Brio in der Darbietung von Regameys Quintett sind nicht weniger mitreißend. Hier sitzt jedes Detail, lebt jede Phrase - auf diese Weise wird solch wenig bekanntes, aber hörenswertes Repertoire angemessen interpretiert. Allein wegen dieses Werks lohnt die CD bereits.
Georg Henkel
Trackliste
Quintett für Klarinette, Fagott, Violine, Cello & Klavier
Besetzung
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |