Reviews
Boomerang Town
Info
Musikrichtung:
Singer/Songwriter-Americana
VÖ: 17.02.2023 (Folk 'n' Roll Records) Gesamtspielzeit: 47:12 Internet: https://www.jaimeeharris.com/ https://oktoberpromotion.com/ https://www.thirtytigers.com/ |
Welch ein mitreissender Auftakt! Mit dem Titelsong der aktuellen Platte, Boomerang Town, startet die Texanerin Jaimee Harris ihr drittes Album, und schlägt (bei mir) gleich ein wie eine Bombe! Denn die Stimmung dieses Songs geht tief, bewegt, besitzt diesen hohen Grad an Emotion, die sich sofort in die Seele bohrt. "Boomerang Town", ja, so bezeichnet man, wie die Protagonistin es selbst ausdrückt, auch ihre Heimatstadt als eine Stadt, die damit zu tun hat, dass Menschen, die versuchen, sie zu verlassen, anscheinend zurückkommen.
In der Pressemitteilung erklärt die Protagonistin sehr eindeutig, worum es ihr bei diesem Album mit den zehn Songs ging: „Boomerang Town“ entstand in der Zeit des Verlustes im Jahr 2016, als die Songwriterin mehrere ihr nahestehende Musiker verlor. Der Wandel in der politischen Landschaft des Landes hatte eine neue Ebene der Polarisierung eingeläutet, in der ganze Bereiche des kulturellen Lebens verteufelt wurden. Als jemand, der in einer Kleinstadt außerhalb von Waco, Texas, aufgewachsen ist, glaubte Harris, dass die Werte, die ihre Eltern ihr vermittelt hatten, nicht ganz mit der Sichtweise vieler Linker übereinstimmten, die Christen verunglimpften und sie für den neuen Wandel in der Führung verantwortlich machten. Als Genesende musste Harris ihre eigene Verbindung zum Glauben neu bewerten und Kraft in einer höheren Macht finden – „auch wenn es nicht unbedingt ein blauäugiger Jesus ist“, lacht sie – obwohl sie natürlich weiß, wie es ist, in einer Südstaatenkirche „gesagt zu bekommen, wie man wählen soll“. Aus der Schnittmenge dieser sozialen, persönlichen und politischen Strömungen entstand das Album. Und obwohl ein Großteil des Materials auf „Boomerang Town“ von persönlichen Erfahrungen inspiriert wurde, sind die Songs auf dieser Sammlung weit davon entfernt, autobiografische Kopien zu sein. Mehr als alles andere kommen sie aus einem Ort der emotionalen Wahrheit. Mehr über „Boomerang Town“ In Harris‘ Worten: „Warum habe ich es geschafft, aus meiner Bumerangstadt herauszukommen? Warum sitzen andere dort fest, die sich danach sehnen, wegzugehen, aber keinen Ausweg finden? Das Schreiben dieser Songs, das Erwecken dieser Erzähler zum Leben, brachte mich den Antworten näher. Obwohl ich die Stadt verlassen konnte, war ich nicht in der Lage, dem Generationskreislauf von Sucht und Geisteskrankheit zu entkommen. Ich musste meine evangelikale Erziehung dekonstruieren, die guten Dinge, die ich daraus mitnahm (die Bedeutung des Dienens und der Nächstenliebe), beibehalten und die Bigotterie und Gehirnwäsche ablehnen – und dann den Glauben wiederfinden, auf meine eigene Weise, außerhalb der Religion, durch Genesung, Gemeinschaft und die Alchemie des Songschreibens. Meine Heimatstadt ist nicht anders als die Heimatstadt von Millionen anderer. Diese Lieder erzählen davon, wie es ist, in diesen Städten zu leben, in diesen Zeiten. So ist es, wenn man zur Generation nach „Born to Run“ gehört. Springsteens Generation hatte etwas, wohin sie flüchten konnte. Ich bin mir nicht so sicher, ob meine das kann.
Ich denke, diese Aussagen dienen mit Sicherheit dazu, den Hintergrund dieser hoch emotionalen Musik besser nachvollziehen zu können, daher erschien es mir wichtig, dieses mit einzubeziehen. Und schon erscheint der nächste "Knüllersong" mit "Sam's". Wie Jaimee aussagte, seien diese Songs offensichtlich mit autobiografischen Erlebnissen angereichert, anhand entsprechender Beispiele fiktiver Personen, und wie sie meinte, aus einem Ort der emotionalen Wahrheit. In Verbindung mit der Instrumentierung von"Sam's" verbindet sich das zu einem hochgradig berührenden Song, allein durch die Violinen-Begleitung.
Ja, hier wird das Thema Leben beim Schopf gepackt, mit all' seinen Facetten, zwischen Freude und Trauer, nostalgischen Erinnerungen, Verzweiflung und zu Beziehungsproblemen, ich denke, hier mag sich Jede/r irgendwie wiederfinden. Oft genug erinnert mich der Ausdruck der Musikerin an Kolleginnen wie Nancy Griffith oder auch gelegentlich an Emmylou Harris. Beachtlich ist wirklich diese emotionale Tiefe, diese Art und Weise, wie Jaimee ihre Songs vorträgt, stimmlich ganz klar und rein, mit großer Kraft und immenser Tiefe im Ausdruck, ja, das geht unter die Haut!
Es dürfte schon eine Weile her sein, dass solch' beeindruckende Musik in diesem Genre produziert wurde. Nicht nur, dass Jaimee ein Händchen für hervorragende Songs hat, auch die Produktion und die Umsetzung durch die Musiker sprechen eine deutliche Sprache, die ganz einfach Qualität heisst! Auf jeden Fall kann sich die Musikerin in eine Reihe mit solchen Kolleginnen wie Eliza Gilkyson, Emmylou Harris, Nancy Griffith, Mary Gauthier oder Patti Griffin stellen, sie strahlt das gleiche individuelle Moment aus.
Trackliste
2 Sam's
3 How Could You Be Gone
4 The Fair And Dark Haired Lad
5 On The Surface
6 Good Morning My Love
7 Like You
8 Fall (Devin's Song)
9 Love Is Gonna Come Again
10 Missing Someone
Besetzung
Mark Hallman (trap drums, wood drums, bass, electric guitar, Wurlitzer, Hammond, cajon, accordion)
Taylor Hallman (tambourine)
Andre Moran (electric guitar, slide guitar)
Betty Soo (backing vocals)
Kris Nelson (backing vocals)
Sammy Powell (piano)
Michele Gazich (violin)
Dirk Powell (accordion)
Brian Standefer (cello)
David Mansfield (violin, viola)
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |