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Sämtliche Suiten für Cembalo
Info
Musikrichtung:
Barock / Cembalo
VÖ: 05.01.2023 (Aeolus / Note 1 / CD / DDD / 2020 / AE 10204) Gesamtspielzeit: 69:20 |
PRÄCHTIGER SCHLUSSSTEIN EINER EPOCHE
„Ist das von Bach?“ – In der Tat klingt das jüngste Cembalo-Album von Bob van Asperen beim flüchtigen Hinhören wie eine Blütenlese aus dem Ouevre des Leipziger Barockmeisters. Nur: Die Stücke stammen allesamt von François (Charles) Dieupart, einem 1676 geborenen französischen Komponisten.
Im Zentrum der Einspielung stehen sechs „Suittes de Clavessin“, die Dieupart 1701 im Alter von 25 Jahren in Druck gegeben hat. Geschliffene Meisterstückchen allesamt, trotz einer gewissen Kürze. Doch die Knappheit steht hier eher für die Kunst der kontrapunktischen Verdichtung und Durchformung.
Mit Dieuparts kleiner Sammlung, die kaum mehr als eine Stunde Musik ergibt, fügt ein angehender Meisterkomponist seinen funkelnden Schlussstein in das französische Cembalorepertoire des 17. Jahrhunderts ein. Nicht nur beeindruckt die satztechnische Reife, auch die musikalische Wirkung insgesamt ist ausgesprochen reizvoll. Im Grunde geht jeder der stilisierten Tänze gleich ins Ohr, zeichnet sich durch prägnante Motivik und Ausdrucks-Charaktere aus. Die klassische Satzfolge – Allemande, Courante, Sarabande, Gigue – wird durch jeweils eine festliche Ouvertüre à la Lully eingeleitet. Dazu kommen modische „Galanterien“ wie Menuet und Gavotte.
Dieuparts Wurf zog umfangreiche Kreise: Bach hat die Sammlung 1715 abgeschrieben und offenbar so tief verinnerlicht, dass sich zahlreiche Entlehnungen in seinem eigenen Schaffen für Cembalo finden, was den eingangs erwähnten Eindruck erklärt.
Die dichte Schreibweise und der unverkennbar französische Ton haben Bach hörbar inspiriert, insbesondere dann, wenn er selbst im französischen Gout komponierte. Aber auch andere prominente Zeitgenossen wie Telemann ließen sich von Dieuparts Kollektion befruchten – angesichts des bescheidenen Umfangs seines Werks ist die Wirkungsgeschichte beachtlich und ein Beweis dafür, dass sich Qualität dann doch einmal durchsetzt.
Bob van Asperen hat nicht nur eine hinreißende Interpretation der sechs gedruckten Suiten auf der Grundlage einer eigenen Edition vorgelegt, sondern auch gleich zwei handschriftlich überlieferte kürzere Suiten dem Komponisten zuordnen und erstmals einspielen können. Angesichts der Qualität auch dieser Stücke kann man bedauern, dass François Dieupart in punkto Produktivität kein zweiter François Couperin geworden ist.
Auf dem sehr schön klingenden Nachbau eines frankoflämischen Instruments musiziert van Asperen mit einer (aus)gelassenen Spielfreude und Orchestrierungslust, dass man sich kaum einen besseren Anwalt für Dieuparts Kostbarkeiten vorstellen kann. Die vielfältigen Registrierungsmöglichkeiten nutzt er sehr überzeugend, um die Satzkunst unaufdringlich zu illuminieren. Das hat nichts Didaktisches, ist stets musikalisch inspiriert. Das Instrument kommt ihm mit seinem samtig-sonoren Bass, den schattierungsreichen Mitten und den kristallin blitzenden Höhen sehr entgegen. Charmant sind manche an eine Spieluhr gemahnenden Effekte und der Einsatz des Dämpfers, das Instrument klingt dann wie eine Laute. Die Fülle geschmackvoller Verzierungen verdient das Prädikat „köstlich“.
Hervorzuheben ist außerdem der tiefschürfende Essay im Booklet. Hier bietet van Asperen eine von vielen „Märchen“ bereinigte Biographie Dieuparts, der nach seinen französischen Anfängen für lange Jahre erfolgreich in der Londoner Musik- und Opernwelt mitmischte, bis er die letzten Jahre seines Lebens wieder in die alte Heimat zurückkehrte, wo er 1751 starb.
Diese Neuaufnahme ist ein prächtiger Gedenkstein für einen frühvollendeten Meister, der nicht nur Kennern und Liebhabern wärmstens ans Ohr gelegt sei.
Georg Henkel
Besetzung
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |