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Checkmate: The Demo Collection
Info
Musikrichtung:
Thrash Metal
VÖ: 27.11.2020 (Vic) Gesamtspielzeit: 102:56 Internet: defiancethrash.bandcamp.com |
Defiance zählten in den Spätachtzigern und Frühneunzigern zur zweiten bis dritten Reihe des der US-Westküste entsprungenen Thrash Metals, und trotz eines Deals bei Roadrunner und drei veröffentlichten Alben kamen sie auf keinen grünen Zweig. Erst in der Retrospektive und mit dem ersten Thrash-Metal-Revival in den mittleren bis späten Nullerjahren begannen die Nachgeborenen und vielleicht auch einige Altmetaller, denen die Band damals entgangen war, auch ihr Werk stärker zu schätzen, und so taten sich wie viele andere alte Bands auch Defiance wieder zusammen und veröffentlichten 2009 ein neues Album namens The Prophecy. Das Strohfeuer erlosch aber schnell wieder, bis anno 2019 eine weitere Reunion auf den Plan gesetzt wurde. Bereits 2007 hatten Metal Mind Records die drei Alben als Boxset namens Insomnia in einer limitierten 2000er Auflage wiederveröffentlicht und mit diversem Demomaterial, Alternativfassungen etc. angereichert. Dieses Set scheint zwischenzeitlich vergriffen zu sein, denn nun liegt als erstes Tonzeugnis der aktuellen Reunion eine Doppel-CD namens Checkmate: The Demo Collection vor, die etliches von dem Zusatzmaterial der Box erneut ans Licht zerrt, allerdings auch anderen Stoff hinzufügt.
CD 1 beginnt gleich mit solch anderem Stoff: Gitarrist Jim Adams hatte 1991 bei den Aufnahmen zum Albumdrittling Beyond Recognition ein reichlich einminütiges Akustik-Instrumental eingespielt, das dem Album letztlich seinen Titel gab, kurioserweise selbst aber gar nicht auf ihm plaziert wurde. Das hübsche Stück erblickt nun also knapp 30 Jahre später doch noch das Licht der Welt.
Als nächstes folgt das Material zweier 1989er Demos, woran wir bemerken, dass das Demomaterial in reziprok chronologischer Folge auf den CDs veröffentlicht wurde. Hier gehen allerdings die editorischen Unklarheiten schon los. Die Liner Notes, ein Interview von Pim Blankenstein mit Adams und dem alten Bassisten Mike Kaufmann, nennen nur eins dieser beiden Vier-Track-Demos, und zwar das in den Jackson Street Studios aufgenommene, das zuerst auf der CD steht, allerdings nicht mit der im Booklet angegebenen Songfolge. Es geht tatsächlich mit „Deception Of Faith“ als Track 2 los, aber das als Track 3 erwähnte „Checkmate“ kommt nach dem viertplazierten „Steamroller“ als Track 5 in identischer Fassung gleich nochmal, wo eigentlich das Instrumental „Buried Or Burned“ stehen sollte – ein offensichtlicher Preßfehler, der zumindest bei der Bandcamp-Downloadversion zum Glück behoben wurde. Für das andere Demo, mit gleichem Bandpersonal aufgenommen, aber ohne Nennung eines Aufnahmeorts und vor allem schlagzeugseitig tatsächlich mit markant anderem Sound, stimmt die Reihenfolge, wobei wir „Checkmate“ und „Deception Of Faith“ abermals zu hören bekommen, zusammen mit dem verschachtelten „Violent Remedy (Void Terra Firma)“, dessen Klammerbemerkung dem zweiten Album seinen Titel verlieh, und dem flotten „Skitz-Illusions“. Die Liner Notes sprechen in bezug auf das Jackson-Street-Demo von einer Pre-Production-Aufnahme für besagtes zweites Album, was freilich vom Grundsatz her auf beide Demos zutreffen kann, wobei letztlich alle sechs zu hörenden Songs auch tatsächlich für das Void Terra Firma-Album eingespielt wurden. Möglicherweise diente das Demo ohne Aufnahmeortsnennung (wenn die reziprok chronologische Reihenfolge konsequent eingehalten worden sein sollte, müßte es das ältere dieser beiden sein) zunächst dem Test des neuen Sängers Steev Esquivel, der gerade erst 1989 von Laughing Dead zu Defiance gewechselt war und der, obwohl er sicherlich nicht zu den ganz großen Shoutern der Thrash-Welt zu rechnen ist, den vokalen Part tatsächlich um eine Stufe nach oben zu heben in der Lage war.
Auf dem nun folgenden Hypothermia-Demo von 1988 nämlich hören wir Esquivels Vorgänger Ken Elkington, und der bringt leider nur eher durchschnittliches, monoton phrasiertes Shouting mit einigen wenigen hohen Schreien ein und wird damit dem instrumental durchaus gehobenen Anspruch Defiances zumindest in den hier zu hörenden Demofassungen nicht so richtig gerecht – ein Aspekt, den sowohl Matthias Herr als auch Otger Jeske in ihren jeweiligen Lexikonbeiträgen über Defiance hervorheben, wenn es um das Debütalbum Product Of Society geht, auf dem Elkington ebenfalls sang und das unter seinen zehn Songs alle fünf des Hypothermia-Demos, das anfangs noch unter dem Titel Demolition lief, dann aber den Titel seines Openers verpaßt bekam, als Neueinspielungen auffährt, auch das kurze Akustikinstrumental „Aftermath“, das auf dem Original zwar enthalten, aber in der Tracklist nicht verzeichnet ist, weil es ursprünglich gar nicht draufkommen sollte – Adams hat hier quasi den Vorläufer des späteren Titeltracks des dritten Albums erschaffen, während der Rest der Songs quasi einen Zwischenschritt von der frühen Übersprudelung als instrumentalen Motiven hin zur späteren Kontrolliertheit darstellt, wobei sich das Material nur in der Rückschau derart markant von dem des zweiten Albums unterscheidet, während man damals durchaus von einer logischen Anknüpfung sprechen konnte, da der markantere Schritt hin zum Techno Thrash, wie man das weiland zu nennen pflegte, erst mit dem Beyond Recognition-Album zurückgelegt wurde. Trotzdem ist auch eine Nummer wie „Missing In Action (Forgotten)“ schon recht verschachtelt ausgefallen, dadurch wirkungsvoll kontrastierend mit einem Speedie wie „Deadly Intentions“, wobei festzuhalten bleibt, dass Defiance auch damals nie zu den ganz großen Härtnern zählten und man „Deadly Intentions“ mit einem anderen Gesang problemlos auch das Etikett „melodischer Speed Metal“ umhängen könnte.
CD 2 eröffnet mit zwei Songs eines 1987er Vierspur-Demos, das noch mit dem ersten Sänger der Band, Mitch Mayes, eingespielt wurde. Hinter „Born To Kill“ verbirgt sich dabei eine Frühform von „Product Of Society“, „M.I.A. (Forgotten)“ morphte auf dem Folgedemo in eine Version mit den ausgeschriebenen Worten und auf dem Album letztlich nur noch zu „Forgotten“. Die Grundstrukturen der Songs waren schon damals erhalten, den Gitarrensoli in „Born To Kill“ merkt man noch ein wenig Übereifer von Adams und seinem Kompagnon Doug Harrington an, und Mayes phrasiert noch variantenärmer als sein Nachfolger Elkington, so dass es für die Band nur ein kurzfristiges Problem dargestellt haben dürfte, als der Vokalist die Formation verließ bzw. verlassen mußte (da widersprechen sich die Liner Notes am Übergang von S. 2 zu S. 3 in sich), und zwar justament am Tag vor einer großen Supportshow für Legacy (aus denen kurze Zeit später Testament wurden). Zumindest diesen Gig spielten Defiance dann als Instrumental-Quartett – das dürfte kein Novum für sie gewesen sein. Zumindest legt der nächste Track das nahe, der älteste des Doppelsilberlings, nämlich eine 1986 aufgenommene Instrumentalversion des später mit Vocals versehenen „Hypothermia“, noch mit Ur-Gitarrist Brad Bowers neben Adams an den sechs Saiten und mit einem durchaus guten Soundgewand und einleitend sogar mit einem ungewöhnlichen Soundeffekt versehen. Über diese Aufnahme sagen die Liner Notes leider gar nichts aus, was schade ist, denn die Nummer macht in dieser Form richtig Hörspaß, und wenn man bedenkt, dass Mayes und Elkington eher limitiert waren und selbst Esquivel keinen der ganz Großen im Volk der Thrash-Sänger darstellte, ertappt man sich unwillkürlich bei dem Gedanken, was aus Defiance hätte werden können, wenn sie den Mut gehabt hätten, als Instrumentalband weiterzuarbeiten und gerade die Gitarrenarbeit noch stärker als „Ersatz“ für Gesangsmelodien auszubauen. Aber wir schrieben weiland das Jahr 1986, und da war eine instrumentale Thrash-Metal-Band noch etwas völlig Undenkbares, was Jahre später, in den „Anything goes“-Neunzigern, dann schon anders auszusehen begann.
Damit verlassen wir den Sektor des Defiance-Demomaterials und kommen zu Stoff, der wie der „Beyond Recognition“-Titeltrack noch nicht auf dem Insomnia-Boxset zu hören war. Die nächsten fünf Tracks gehören einer Liveaufnahme vom 2.9.1989 aus dem Omni in Oakland, wobei es sich um den ersten Gig Esquivels mit der Band gehandelt hat, und zwar um eine Supportshow für Mordred, deren Plakat auch im „Dokumententeil“ des Booklets abgebildet ist und bei der außerdem auch noch Blind Illusion und Contempt spielten. Hinter den fünf Tracks verbergen sich allerdings sechs Songs, da „Checkmate“ und „Lockjaw“ direkt ineinander übergehen. Mit ebenjenem „Checkmate“ und „Deception Of Faith“ testen Defiance Material des kommenden Albumzweitlings an, womit diese Nummern insgesamt in drei verschiedenen Fassungen auf der Doppel-CD stehen („Checkmate“ ja sogar viermal, aber ungeplant), während die anderen vier Songs vom Product Of Society-Debütalbum stammen, mit Esquivel am Gesang diesbezüglich aber auch nicht wesentlich aufregender klingen. Das Soundgewand ist zwar relativ dumpf, in „Death Machine“ leiert das Aufnahmetape außerdem fürchterlich, und sogar die Rückkopplungen im Intro von „Deception Of Faith“ sind dringeblieben, aber die instrumentale Klasse der Formation wird auch hier deutlich, ebenso wie der markante Schwachpunkt beim eindimensionalen Gesang. Der Anfang vor „Checkmate“ sowie diverse Ausblendungen lassen vermuten, dass die reichlich 26 Minuten nicht den kompletten Gig darstellen – der wäre selbst für eine Supportband in einem Viererpackage arg kurz. Ob es technische Schwierigkeiten oder andere Gründe waren, das Restprogramm wegzulassen, muß offenbleiben – angesichts von nur knapp 51 Minuten wäre auf der CD noch genug Platz gewesen. Anders sähe die Sache allenfalls aus, wenn die Doppelscheibe auch auf LP hätte herauskommen sollen, aber davon ist zumindest zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Rezension nichts bekannt. Verwundert es übrigens jemanden, dass das Instrumental „Tribulation“ unter den Livetracks den stärksten Hörspaß macht?
Mit den letzten drei Nummern bewegen wir uns wieder im Bereich des editorisch Unklaren. Die Literatur spricht von einem letzten Defiance-Demo anno 1994, die hier zu hörenden drei Demosongs aus ebenjenem Jahr sind aber als Demo einer Formation namens Inner Threshold deklariert, die vier ehemalige Defiance-Musiker plus Paul Palmer als neuen Drummer beinhaltet. Brian Wenzel, 1992 als neuer Gitarrist zu Defiance gestoßen, war schon wieder nicht mehr dabei – die beiden Sechssaiter wurden wie gewohnt von Adams und Harrington bedient. Am Mikrofon hören wir David Godfrey White, der nach Esquivels Ausstieg zunächst noch zu Defiance gewechselt war, mit denen aber genausowenig vorwärtskam wie mit Heathen zuvor, auch nicht nach dem Stilwechsel vom Techno Thrash in Richtung eines ähnlich breaklastigen, aber zudem in seiner Grundlage deutlich groovigeren Stils, wenngleich man festhalten muß, dass Matt Vander Ende ähnliche Rhythmen auch in früheren Defiance-Tagen durchaus schon hatte einfließen lassen, der neue Stil nicht wie bei so mancher anderen Combo also aus heiterem Himmel gefallen kam, was szeneintern damals gern als Trendreiterei gebrandmarkt wurde, in so manchem Falle sicherlich nicht unberechtigt. Auch Whites Vocals werden in den Strophen von „Safe“ verzerrt, bevor er dann doch noch cleaner agieren darf und unter Beweis stellt, dass er der Fähigste ist, den Defiance je am Mikro stehen hatten. Wie der das alte Material intoniert, hätte man durchaus gern gehört, aber offenbar gibt es davon keine vernünftigen Aufnahmen, und so müssen wir uns mit dem hier zu Hörenden bescheiden, das in „Don’t Play God“ sogar eine merkfähige Melodielinie unterbringt und in „Wasting Creation“ ziemlich psychotisch agiert, das diesbezügliche Versprechen der spacig angehauchten Gitarren im Intro aber nicht einlöst, wenngleich die knackig nach vorn marschierenden doublebassunterlegten Parts hier enorm viel Hörspaß machen – schade nur, dass sie ihr ganzes Potential nicht entfalten können, weil der Song wie viele moderne Thrash-Nummern der Neunziger nach dem Baukastenprinzip zusammengesetzt worden zu sein scheint. Dieses Prinzip hatten Defiance freilich schon früher gepflegt, und es half ihnen nicht weiter. Inner Threshold waren also ebenso schnell wieder Geschichte wie der nächste Nachfolger namens Under, und dann blieb es bis zur erwähnten Reunion in den Mittneunzigern ruhig. Etwas mehr Erfolg hatte Esquivel mit seiner neuen Formation Skinlab und ebenfalls einer konsequent modernen Thrash-Ausrichtung, aber auch hier war kurz nach der Jahrtausendwende Schicht im Schacht.
In der Gesamtbetrachtung bleibt ein zwiespältiger Eindruck gleich in doppelter Hinsicht. Zum einen zeigt auch das Demo- und das Livematerial, dass Defiance zu Recht nur in die zweite bis dritte Reihe der damaligen Thrash-Acts gehörten, wobei die instrumentale Klasse durchaus das Zeug zu mehr geboten hätte, wenn die Band den Mut gehabt hätte, instrumental weiterzumachen und die Stärken in dieser Richtung konsequent auszubauen, was dann vielleicht auch zu interessanterem Songwriting geführt hätte, während selbst von den mehrfach auf der Doppel-CD vorhandenen Nummern kaum etwas im Langzeitgedächtnis haftenbleibt – es sei denn, es war dort schon seit der Frühzeit verankert.
Zum anderen aber geht auch die editorische Leistung der Doppel-CD als zweifelhaft durch. Der Aspekt, dass beide CDs keineswegs überfüllt sind, wurde bereits angesprochen, und selbst wenn Kaufmann in den Liner Notes behauptet, dass man den Anhängern lieber etwas noch Ungehörtes bieten wollte, wäre immer noch reichlich Platz gewesen, um auch die hier nicht vertretenen Zusatztracks der Insomnia-Box noch mit unterzubringen, wonach Blankenstein im Interview explizit gefragt hatte. Ärgerlich gegenüber den bisherigen Käufern der Doppel-CD wäre nun freilich ein erweiterter Re-Release mit auch noch den fehlenden Tracks plus der Korrektur des Preßfehlers auf CD 1. So steckt man hier quasi in einem Teufelskreis: Wenn man nicht gerade Fanatiker historischer Liveaufnahmen ist oder unbedingt den Beyond Recognition-Titeltrack und das Inner-Threshold-Demo hören will, fährt man besser, wenn man nach einem Second-Hand-Exemplar der Insomnia-Box sucht, zumal man dort ja auch noch die drei regulären Studioalben „mitgeliefert“ bekommt. Hat man diese Alben aber in den alten Roadrunner-Fassungen, könnte man zumindest über einen Erwerb von Checkmate: The Demo Collection nachdenken. Das Booklet enthält neben den Liner Notes und den historischen Dokumenten noch die Lyrics der meisten Songs – aber eben nur der meisten: Auch hier fehlt die wünschenswerte editorische Komplettheit, denn diejenigen zu „Missing In Action (Forgotten)“, „Lockjaw“, „Death Machine“ und den drei Inner-Threshold-Nummern blieben unabgedruckt.
Roland Ludwig
Trackliste
Beyond Recognition (01:20)
Deception Of Faith (04:28)
Checkmate (03:40)
Steamroller (03:23)
Buried Or Burned (Instrumental) (03:41) theoretisch, Checkmate (03:40) praktisch (in Bandcamp-Downloadversion korrigiert)
Violent Remedy (Void Terra Firma) (05:26)
Skitz-Illusions (03:44)
Checkmate (03:40)
Deception Of Faith (04:38)
Hypothermia (05:26)
Product Of Society (03:41)
Missing In Action (Forgotten) (04:02)
Aftermath (01:41)
Deadly Intentions (03:17)
CD 2
Born To Kill (03:39)
M.I.A. (Forgotten) (04:09)
Hypothermia (Instrumental) (05:51)
Checkmate/Lockjaw (Live) (07:45)
Death Machine (Live) (04:15)
Deception Of Faith (Live) (04:57)
Tribulation (Live) (05:27)
Product Of Society (Live) (03:51)
Inner Threshold: Safe (03:39)
Inner Threshold: Don’t Play God (03:20)
Inner Threshold: Wasting Creation (03:48)
Besetzung
Ken Elkington (Voc, CD 1, 10-12, 14)
Mitch Mayes (Voc, CD 2, 1-2)
David White (Voc, CD 2, 9-11)
Jim Adams (Git)
Doug Harrington (Git)
Brad Bowers (Git, CD 2, 3)
Mike Kaufmann (B)
Matt Vander Ende (Dr)
Paul Palmer (Dr, CD 2, 9-11)
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |