Reviews

Lisette Spinnler, Christoph Stiefel

The Heartbeat Of A Bird

Info Musikrichtung: Jazz VÖ: 21.10.2022 (Clap Your Hands CYH) Gesamtspielzeit: 50:19 Internet: https://www.lisettespinnler.com/ https://www.christophstiefel.ch/ https://www.martinaweinmar.de/ https://www.clapyourhands.ch/

The Heartbeat Of A Bird, so der Titel der aktuellen Produktion von Lisette Spinnler und Christoph Stiefel. Muss ich mich nun auf rasante Musik einstellen? Denn Herzen von Vögeln haben in der Regel eine hohe Schlagfrequenz, bei einem Sperling zum Beispiel etwa 500 mal in der Minute und beim Kolibri sind es gar 1000 Schläge.

Umgemünzt auf das Tempo eines Musikstücks in der Maßeinheit "Beats per minute" (bpm) wären das recht flotte Songs, oder? Den Beweis werden die zwölf Kompositionen der 1976 in Basel geborenen Vokalistin Lisette Spinnler und des 1961 in Zürich geborenen Pianisten Christoph Stiefel liefern. Das heißt, es befinden sich auch Fremdkompositionen darunter, wie "Sleep Save And Warm" von Krzysztof Komeda, "Body And Soul" von Green/Heyman/Sour/Eyton, "Blue In Green" von Miles Davis mit Text von Cassandra Wilson und "I Fall In Love Too Easily" von Styne/Cahn.

Die Beiden spielen bereits seit 2008 gemeinsam als Duo, aber The Heartbeat Of A Bird ist erst ihr zweites Album. Um meine anfänglichen Ausführungen wieder aufzugreifen, werde ich durch den Pressetext entsprechend aufgeklärt: Der Titel der Platte meint nicht das markant schnell schlagende Vogelherz, sondern das Leben an sich, die Vergänglichkeit, den Kreislauf der Natur – und deren zunehmende Gefährdung. Ein Rotkehlchen in der Hand und der am Himmel kreisende mächtige Milan stehen für Zerbrechlichkeit und Freiheit. Beides ist zentral in der Musik dieses Duos. Doch wie der Milan nicht um der Freiheit willen, sondern zur Nahrungssuche hoch über dem Boden kreist, ist auch die Freiheit in der musikalischen Improvisation relativ und nicht Selbstzweck. Wie der Vogelflug physikalischen Gesetzen, unterliegt die Improvisation musikalischen Voraussetzungen und Kriterien und hat zum Ziel, in Jetztzeit neue, ungehörte Klänge zu kreieren und das Publikum an diesem Schöpfungsprozess teilhaben zu lassen.

Im Jazz gibt es sicher nicht viele Beispiele mit der Besetzung Piano/Gesang, spontan fallen mir gleich zwei Alben von Ella Fitzgerald ein, mit Ellis Larkins aus 1954 und mit Paul Smith aus 1960, sowie das Album, das Carmen McRae einst mit George Shearing einspielte. Ella's Musik auf beiden Platten strahlt sehr viel bluesige Stimmung aus, mit dieser tief empfundenen und tief in die Seele gehenden Ausstrahlung, und McRea/Shearing bestechen mit ihrem cool swingenden Ausdruck.

Lisette Spinnler und Christoph Stiefel kann ich nicht mit dieser Ausstrahlung vergleichen, es klingt anders, "europäischer", kühler und vielleicht einen Hauch avantgardistisch sogar. Diese Musik wirkt eher zerbrechlich, verträumt und introvertiert. Sie kann nicht entsprechend packen, die Seele mit Wärme berühren, sondern es wirkt eher intellektuell, nicht aber, ohne das Emotionen vorhanden wären. Nur strahlen hier andere Emotionen, zum Beispiel empfinde ich bei einigen Songs so etwas wie Düsternis, auffällig und letztlich wohl auch nahe liegend, besonders bei "Sleep Save And Warm" von Krzysztof Komeda. Aber auch Gefühle und Empfindungen wie Nachdenklichkeit, Romantik, Zärtlichkeit werden verströmt, und auf "Body And Soul" gar ein Hauch von bluesigem Anstrich.

Lisette Spinnler nutzt ihre Stimme mitunter auch als Instrument und gestaltet somit auch entscheidend mit, auf recht abstrakte Weise erscheint das mit dem Song "Fluttering From The Autumn Tree", und gar an den Sound einer Trompete mag man gar manchmal denken. (#2, 12)

Wolfgang Giese