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Musikrichtung:
Neue Musik Instrumental
VÖ: 04.11.2022 (Musicube / Note 1 / 2 CD / DDD / 2011-2021 / SND 22024) Gesamtspielzeit: 92:30 |
KLANGWANDERUNGEN
Konzertmitschnitte aus den vergangenen zehn Jahren sind auf dieser Doppel-CD zu einem neuen Porträt des belgischen Ensembles "Sturm und Drang vereint". Unter der Leitung von Thomas van Haeperen erklingen Werke diverser KomponistInnen. Das Spektrum reicht vom 2022 im Alter von 86 Jahren verstorbenen Philippe Boesmans bis zur 1995 geborenen Apolline Jesupret.
Boesmans „Surfing“ zieht die Zuhörenden in eine kaleidoskopisch-labyrinthische Klangwelt, bei der eine solistische geführte Viola durch allerlei Ensemblekollisionen und blitzartige Allusionen anderer, älterer Musik hindurch „surft“. Das klingt in seiner Kleinteiligkeit oft insektoid, mitunter witzig, vor allem, wenn scheinbar oder tatsächlich Bekanntes aus der musikalischen Tradition für kurze Momente anklingt. Sicherlich eines der besten Stücke dieser Platte.
Ähnlich verdrillt und verknotet ist der Satz von Pierre Bartholomées „La rupture des falaises“. Diese hier mit rund 30 Minuten längste Komposition bietet eine Folge von Abschnitten, die durch immer neue rhythmische Pattern und Instrumentalkombinationen jeweils voneinander unterschieden sind und doch einen größeren Prozess abbilden. Was als delikates Ensemblespiel über dunklen Klavierresonanzen beginnt, verkling dann durch mal perkussive, mal lyrische Phasen hindurch am Ende erneut über tiefen Klavierklängen in die Stille hinein.
Das vergleichsweise kurze „Presto strepitoso“ von Denis Bosse setzt akzentuierte Töne der Bläser gegeneinander, bis sie sich sozusagen geeinigt haben: Die einzelnen „Signale“ finden auch nach einigem Hin und Her und trotz gelegentlicher Entspannung nicht zusammen, bevor nicht ein schillernder mikrotonaler Abschnitt gemeistert wurde. Danach setzt man zum markig-schrägen Schlusschoral an.
Jean-Pierre Deleuze "Trois Chemins en Hayastan“ zeichnen sich durch atmosphärisch gesättigte Klangenvironments und repetitiv voranschreitende Muster aus. Die Einsprengsel orientalischer oder modaler armenischer Musik evozieren eine imaginäre Reisen durch Hayastan (Armenien). Man denkt nicht nur an Wanderungen durch Landschaften und Orte (wie die Kathedrale von Ani), sondern in den schmerzvollen Weisen und dramatischen Momenten klingt auch die leidvolle Geschichte dieses Landes und seiner Bevölkerung an.
Um Bewegungen geht es auch in Grégory d'Hoops „Une roe qui tourne“. Kreisende Klangfarbenbänder beschwören ein sich langsam drehendes Rad. Es scheint Teil eines größeren Mechanismus zu sein, das sich schließlich langsam in sphärische Regionen emporschraubt. D’Hoop entlehnt sein Material einer Motette von Guillaume de Machaut und spielt wie dieser Ars-Subtilior-Meister mit wechselnden Metren und ineinander verschachtelten Rhythmen.
Collagenhafte Momente finden sich schließlich in Appoline Jesuprets „Comme la dansante allure des vagues“. Die Komponistin bezieht sich auf das Bild „La Baingneuse“ von Léon Spilliaert. Der titelgebende „Tanz der Wellen“ kann auch ein Metapher für die auf- und abwogenden musikalischen Erinnerungen sein, die das Stück durchziehen.
Bei aller unüberhörbaren Zeitgenossenschaft sind die aufgenommenen Werke durchaus fasslich und attraktiv durch ihre klangliche Phantasie und die inneren Bilder, die beim Hören entstehen können. Das Ensemble „Sturm und Klang“ spielt diese Kompositionen ganz selbstverständlich und unangestrengt. Bei diesen Klangwanderung ist man gerne mit dabei.
Georg Henkel
Besetzung
Thomas van Haeperen, Leitung
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |