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Psyche
Info
Musikrichtung:
Barock
VÖ: 22.09.2022 (harmonia mundi / hm / 2 CD / 2021 / Artikelnr.HMM 905325.26) Gesamtspielzeit: 107:00 Internet: Ensemble Correspondances |
FORMFRAGEN
Auch wenn man auf den Britischen Inseln gerne seine Eigenarten pflegte und pflegt: den neuesten Moden aus Kontinentaleuropa eiferte man dort gleichwohl seit jeher nach. Und so blieb der Erfolg von Lullys Ballett-Tragödie Psyché - einer Kooperation zwischen ihm, Molière, Cornielle und Quinault in 1671 - nicht unbemerkt, zumal König Charles III. aufgrund seines früheren Exils dort eine gewisse Affinität zur französischen Musikkultur besaß. Eine bloße Übernahme jedoch kam nicht in Frage; dazu waren die Konventionen dann doch zu verschieden.
Librettist Thomas Shadwell hielt sich allerdings sehr eng an die Vorlage. Die Musik, die Matthew Locke und Giovanni Battista Draghi für die Aufführung 1675 beisteuerten, wurzelt hingegen noch in der Frühform des englischen Musiktheaters: Dort hatte sich die Oper als durchkomponiertes Musikdrama noch nicht durchgesetzt. Mit ihr experimentierten John Blow und Henry Purcell erst rund zehn Jahre später. Bis dahin erfreute man sich überwiegend noch an Bühnenstücken in Gestalt der Masque, jener für uns heute ans Musical erinnernden Mischung aus Instrumentalstücken, Arien, Sprechtexten und Komödiantentum. Auch bei der englischen Version der mythologischen Geschichte um Psyche wechseln sich eigentlich längere Sprechtexte (nämlich jene der rein menschlichen Figuren) mit Vokalstücken (der Götter und Fabelwesen) sowie instrumental begleiteten Tanzeinlagen ab. Wenngleich sich noch gut identifizieren lässt, welcher Teil wie realisiert wurde, fehlen in den überlieferten Ausgaben jedoch die Instrumentalstücke, die Giovanni Draghi beisteuerte.
Dirigent Sébastain Daucé hat sich entschieden, diese zum einen durch sorgfältig ausgewählte Instrumentalstücke von Locke selbst sowie durch solche zu ersetzen, die sich in der zeitgenössischen Sammlung "The Rare Theatrical" finden.
Das erweist sich als zumindest musikalisch stimmige Lösung. Das Ensemble Correspondances zelebriert gerade diese Tanzsätze mit großer Musizierfreude und Lust am farbigen Effekt. Das ist so kurzweilig wie mitreißend. Lockes Vokalstücke bekommen so eine überzeugende Einbettung und können sich in ihrer wegweisenden Mischung aus arienhafter Süße und dramatischer Verknappung voll entfalten. Spannend, wie damit deutlich wird, woran Purcell anknüpfte und von wo aus er weiterging. Dass das Ganze funktioniert, liegt auch an der durchweg erstklassigen Sänger:innenriege. Nicht zuletzt Caroline Weynants, Deborah Cachet und Lucile Richardot machen in unterschiedlichen Rollen ein echtes Theatererlebnis aus dieser Rekonstruktion.
Ein "Aber" allerdings bleibt: Da man dem Hörer nicht auch noch die Sprechtexte zumuten wollte, wirkt das Ganze in seiner Aneinanderreihung nicht nur etwas atemlos, sondern zum Teil auch unverbunden. Man merkt: Irgendetwas fehlt. Möglicherweise hätte es schon geholfen, die kurzen Zusammenfassungen der gesprochenen Handlungsteile, wie sie im Booklet wiedergegeben sind, durch eine Sprecherin oder einen Sprecher vortragen zu lassen, um aus dem Patchwork eine Einheit werden zu lassen und der Musik ihren je eigenen Raum und hörbar notwendigen Abstand zu sichern.
Dass Daucé am Ende des zweiten Aktes als Reminiszenz noch das Lament aus Lullys Psyché einschiebt, verstärkt - bei aller Qualität der Interpretation und selbst angesichts der großzügigen Pause zwischen den Tracks - den Patchworkcharakter zusätzlich. Es entsteht damit ganz unnötig der Eindruck, als traute der Interpet der Qualität von Lockes Musik und der Überzeugungskraft seiner Rekonstruktion letzten Endes selbst nicht so recht.
Sven Kerkhoff
Trackliste
Besetzung
Ensemble Correspondances
Sebastien Daucé: Ltg.
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