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Reviews

Monteverdi, C. (Fuget, St.)

Il Ritorno d’Ulisse in Patria


Info

Musikrichtung: Barock Oper

VÖ: 08.07.2022

(CVS / Note 1 / 3 CD / DDD / 2021 / Best. Nr. CVS 069)

Gesamtspielzeit: 182:24

GÄNSEHAUTMOMENTE

Der erste „Wow“-Moment dieser Neuaufnahme von Claudio Monteverdis Oper „Il Ritorno d’Ulisse in Patria“ stellt sich gleich beim großen Monolog der Penelope zu Beginn des 1. Aktes ein: Die Gattin des seit zehn Jahren verschollenen Helden Odysseus leidet, stöhnt, klagt, wütet, dass man beim Zuhören eine Gänsehaut bekommt. Statt durchgehend mit opernhaft getragener Lyrik und melodiöser Schwermut – die es freilich auch zu hören gibt – wird hier das Seelendrama einer verlassenen Frau in feinsten deklamatorischen Nuancen entfaltet: zwischen Hoffen, Sehnen, Bangen und Aufbegehren, zwischen Singen und Sprechen. Man ist hörbar im frühbarocken Musik-Theater, wo die Musik aus dem Wort gezeugt wird!

Mit mikrotonalen Schattierungen auf die Worte „Di misera Regina“ – „Ich unglückselige Königin“ bekommt das Leiden der Verlassenen unerhörte Farben. Jeder ornamentale Schlenker, jede Koloratur, jede Modulation wird mit einem Maximum an expressiver Spannung aufgeladen.
Ensembleleiter Stéphane Fuget setzt hier mit seiner famosen Sängerin Lucile Richardot um, was er bereits an französischer Barockmusik des 17. Jahrhunderts – z. B. den Motetten Lullys – erprobt hat: eine Vertiefung und Erneuerung der historisch-informierten Aufführungspraxis aus dem Geist der emphatischen gesungenen Rede bzw. des sprechenden Gesangs.
Dass die sogenannte "Alte Musik" als "Klangrede" verstanden werden muss, hat zwar schon Nikolaus Harnoncourts epochale Monteverdi-Aufbrüche in den 1960er Jahren inspiriert und seitdem zahlreiche, auch herausragende Aufnahmen hervorgebracht. Bei Fuget wird die Idee der Klangrede nun neu in aufregender Radikalität verwirklicht.

So gilt bei dieser Einspielung: Die auf dem Notenpapier so trocken und schlicht wirkende „Monodie“ des 17. Jahrhunderts klingt derart reich und ausdrucksvoll, dass man in keinem Moment „mehr“ möchte: Weder mehr Instrumente noch Chöre noch Ensembles. Es genügt das, was vor vierhundert Jahren in den ersten kommerziellen Opernhäusern Venedigs zum Einsatz kam. Da wurde an allem gespart, was nicht unbedingt erforderlich war.
Fuget belässt es mit seinem Ensemble „Les Épopées“ bei einer Handvoll Streicher und einer Gruppe Bassinstrumente inklusive Harfe. Bei den überleitenden instrumentalen „Sinfonias“ kommen als einziger Luxus Zinken, in pastoralen Momenten Blockflöten zum Einsatz. Mehr braucht es nicht, wenn so fantasievoll improvisiert wird wie hier. Die kurze, knackige Phrasierung fügt sich bestens zur musikalischen Rede.

Diese Begleitung inszeniert das instrumentale Fundament für ein auch sonst durchweg hervorragendes Sänger:innen-Ensemble. Neben dem Ulisse des Valerio Contaldo, der seine Verwandlung vom Helden in einen alten Mann und zurück hinreißend verkörpert, beeindrucken Ambroisine Bré u. a. in der Rolle der weisen Amme Ericlea bzw. der liebreizenden Dienerin Melanto sowie Pierre-Antoine Chaumien als deren Liebhaber Eurimaco. Im Duett klingen sie wie ein Herz und eine Seele. Marielou Jacquard ist eine mit himmlischer Koloraturpracht auftgrumpfende Göttin Minvera, Juan Sancho ein anrührend jünglingshafter Telemaco und heldischer Jupiter. Edel timbriert klingt der Hirt Eumete von Cyril Auvity.
Die schmierigen Freier, die der Penelope nachstellen, werden von Filippo Mineccia, Alex Rosen und Fabien Hyon prächtig charakterisiert. Ernst und Komik gehen hier zusammen. Zu diesem dreist-dekadenten Trio gesellt sich noch der grandiose Iro von Jörg Schneider, der sich bis zu seinem lächerlich tragischen Ende kunstvoll durch seine Partie salbadert und stottert, um diese Schmarotzerfigur bis in die letzten Charakterwinkel auszuloten.

Kurz: Eine herrliche Aufnahme, die ihr Niveau bis zuletzt hält und ganz praktisch demonstriert, was Fuget aus den vielen Traktaten, die er im Booklettext zur Begründung seines Ansatzes anführt, herausliest. Durchaus eine neue Referenz dieses Werks, das es in der Publikumsgunst bislang schwerer hatte als der opulentere "Orfeo" und die Love-and-Crime-Story um die Krönung der "Poppea". Diese beiden anderen erhaltenen Opern Monteverdis sollen freilich folgen!



Georg Henkel

Besetzung

Valerio Contaldo, Lucile Richardo, Juan Sancho, Filippo Mineccia, Alex Rosen, Ambroisine Bre, Marie Perbost, Marielou Jacquard, Pierre-Antoine Chaumien, Cyril Auvity, Fabien Hyon, Jörg Schneider

Les Épopées

Stephan Fuget, Cembalo & Leitung
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