Reviews
Sixteen Seasons
Info
Musikrichtung:
Klassik
VÖ: 08.07.2022 (Arcana / Outhere / Note 1 / 2 CD / 2021 / Best. Nr. A530) Gesamtspielzeit: 149:00 |
STURM IM KALENDER
Wenn musikverrückte Grenzgänger wie Komponist und Geiger Alessandro Quarta, sein Violin-Kollege Dino De Palma sowie die ebenfalls zwischen den Welten wandelnde Dirigentin Gianna Fratta sich dem Thema "Die vier Jahreszeiten" widmen, kann es eigentlich nur aufregend stürmisch zur Sache gehen. Und so fetzt diese Doppel-CD schon mit Vivaldis (1678-1741) unverwüstlichem Klassiker ruppig los - trocken zugespitzt im Geigenklang, extrem pointiert in den dynamischen Effekten, zuweilen auch geräuschhaft und manchmal mit einem lustvollen Augenzwinkern. Dass ist inzwischen natürlich als Ansatz nicht mehr ganz neu, aber hier sehr stimmig und konsequent durchgehalten ohne der Musik Gewalt oder eitles Virtuosentum anzutun. Durch die perfekte, bass- und höhenbetonte Aufnahmetechnik springt einen der Sound geradezu aus den Boxen an, was den Spaß an der Sache deutlich erhöht (und das Album auch als Test-CD für Lautsprecher und Kopfhörer prädestiniert).
Der aggressive Grundduktus dieses Einstiegs macht den fast nahtlos ausgeführten Übergang zu Piazzollas (1921-1992) "Die vier Jahreszeiten von Buneos Aires" leicht. Hier macht sich Alessandro Quartas breite Expertise auch auf dem Gebiet von Folk, Jazz und Funk bezahlt und bemerkbar. Da wird der Tango nuevo ein gutes Stück zurück aus der gepflegten Konzerthausatmosphäre wieder in Richtung verruchter Bar und Gratwanderung zwischen Liebe und Gewalt, zwischen Lust und Schmerz versetzt - (anbiederungsfreie) "street credibility" könnte man das wohl nennen.
Auf der zweiten CD geht es mit Max Richters (*1966) "Recomposed: Vivaldi - The four seasons" dann eher Richtung Lounge und auch Richters filmmusikalischer Schwerpunkt bleibt dabei nicht ausgeblendet. Aber die Komposition erschöpft sich, was ihren Erfolg ausmacht, eben nicht in einer bloßen Verzweckung des Materials und bloßen Versatzstücken, sondern erschafft daraus bei engster struktureller und thematischer Anlehnung an die Quelle durch Abwandlungen, Spiegelungen, gegenläufige Bass- und Melodielinien eine durchaus eigene, obschon noch immer neo-barocke Klangwelt, der man die suggestive Kraft nicht absprechen kann. Zumal wenn sie so lukullisch und atmosphärisch wie durch das Concerto Mediterraneo und Dino De Palma dargeboten wird, dem auf CD 2 der Solo-Part zufällt.
Von Richters Pattern ist der Weg schließlich zu Philip Glass (*1937) zweiten Violinkonzert "The American Four Seasons" für Solo-Violine, Streicher und Synthesizer nicht weit. Zugleich entfernt dieses Stück sich am weitesten von der Inspirationsquelle: Glass´ Konzert verzichtet auf jegliche Tonmalerei und entzieht sich selbst der Zuschreibung einzelner Sätze zu realen Jahreszeiten. Es kreiert - nicht zuletzt durch den Synthesizer-Einsatz - eine eigene Klangwelt, die es den Hörenden überlasst, Assoziationen zu finden. Für die Verhältnisse von Glass ist das Effekt- und Ausdrucksspektrum dabei sehr weit, das repetitive Element und die sich nach und nach verschiebenden, synkopierten Mikropatterns finden sich natürlich gleichwohl. Aber es sind Jahreszeiten, in deren (amerikanischer) Weite eine Art Orientierungslosigkeit und Verlorenheit mitschwingt, die in eine kosmologische statt eine meteorologische Dimension ausgreift. Auch dies wird von den Ausführenden sehr klangschön, sensibel und mit der nötigen Ruhe, in den "Movements Nr. 3 und 4" aber zugleich der nötigen Verve und kompromisslos schneidendem Violinpart durchdekliniert. Insgesamt ein krasser Gegenpol zum Auftakt.
Sixteen Seasons ist eine aufregende Reise durch 250 Jahre Musikgeschichte gelungen - originell konzeptioniert und packend musiziert.
Sven Kerkhoff
Trackliste
Astor Piazzolla: Las Cuatro Estaciones Portenas (The Four Seasons of Buenos Aires)
Max Richter: Vivaldi - The four Seasons recomposed
Philip Glass: Violinkonzert Nr. 2 "The American Four Seasons"
Besetzung
Concerto Mediterraneo
Gianna Fratta: Ltg.
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |