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Voices From The Past
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Nur wenige Jahre existierte im Schweden der Spätachtziger eine Combo namens Romance, die es auf eine hyperrare selbstbetitelte 4-Track-Mini-LP brachte, von der nicht so ganz klar ist, ob sie überhaupt jemals offiziell für die Öffentlichkeit erhältlich gewesen ist. Janne Stark erwähnt sie in seiner Schweden-Metal-Enzyklopädie beispielsweise nicht, und auch sonst geben die Quellen kein einheitliches Bild ab, wobei Discogs die Scheibe als regulär erschienen führt und die dort zu sehenden Bilder (u.a. mit Labels samt Verwertungsgesellschaftsvermerk) das auch zu belegen scheinen. 1989 war in Örnsköldsvik jedenfalls wieder Ruhe, zumindest im Kontext von Romance – Chefdenker/Bassist Anders „LA“ Rönnblom aber rief alsbald eine Combo namens Killer Bee ins Leben, mit der er einige Alben einspielte, die indes auch keine sonderlich große Verbreitung fanden, so dass der Rezensent mehr als verwundert war, dass er die 2013er CD Evolutionary Children im Sommer 2016 ausgerechnet in einem Plattenladen der am Nordrand des Kaukasus gelegenen russischen Stadt Pjatigorsk fand.
Zu dieser Zeit hatten sich Rönnblom und der andere frühere Romance-Bandkopf, Keyboarder Thomas Widmark, schon getroffen, um eine Kiste alter Demoaufnahmen durchzuhören – und daraus wurde eine neue Band, die, da kein anderes der alten Mitglieder beistieg, nicht Romance, sondern X-Romance getauft wurde und deren Debütalbum programmatisch auf den Namen Voices From The Past hört. Der Opener „Lonely“ hatte nämlich auch die Romance-MLP eröffnet, die anderen drei alten Nummern „Hold You“, „Love’s Around“ und „Remember“ wurden allerdings nicht neu eingespielt oder zumindest nicht unter diesen Titeln. Zumindest die Albumtracks „Bad Connection“ und „Departure“ dürften allerdings auch noch aus alten Zeiten stammen, denn hier ist Kenneth Olofsson als Co-Komponist aufgeführt, und der spielte bei Romance Gitarre, ist aber nicht bei X-Romance dabei. Die restlichen sieben Songs schrieb Rönnblom entweder alleine (zwei Stück) oder im Verein mit Widmark (die übrigen fünf), so dass sich nicht eindeutig sagen läßt, ob sie beim Exhumieren der Demos zutagetraten oder aber aktuell neu geschrieben wurden. Ohne Probleme aber läßt sich festhalten, dass alle zehn Songs aktuellen Aufnahmedatums sind, also sowohl „Lonely“ als neue Aufnahme dabei ist als auch unter den anderen neun Songs keine alte Demoaufnahme versteckt wurde, wobei einzig „Departure“ anderweitiger Herkunft sein könnte, da hier Christian Rosander die komplette Gitarrenarbeit übernommen hat und zudem ein J. Rosander als weiterer Co-Komponist fungiert, der sonst nirgendwo auftaucht. Dieses Rätsel löst sich wie folgt: Es ist tatsächlich wie vermutet ein alter Song, der von Jan Rosander mitkomponiert wurde, welcher mal Bandmitglied bei Romance war (auf der Mini-LP spielte er indes nicht) – und Christian Rosander ist der Sohn von Jan Rosander und spielte bereits 2014 die Gitarren für diese Neuaufnahme ein, im Alter von gerade mal 16/17 Jahren. Unglücklicherweise war es seinem Vater, der im gleichen Jahr starb, nicht mehr vergönnt, das Ergebnis zu hören ... Die anderen neun Songs wurden dann schrittweise in den Folgejahren und in verschiedenen Studios aufs Band gebracht.
Stilistisch gibt es jedenfalls keinerlei Unklarheiten. X-Romance spielen klassischen AOR mit markanter Keyboardarbeit, aber auch gesunder Grundkernigkeit – sie haben zwei Gitarristen in der Besetzung, was übrigens auch bei Romance schon so war. Und die beiden wollen natürlich beschäftigt sein und rechtfertigen ihre Position auch ohne Wenn und Aber. Auch dafür gibt „Lonely“ schon ein erstes Signal, denn obwohl Widmarks Keyboardfanfaren unverkennbare Dominanz ausüben, läßt es sich Fredrik Tjerneld nicht nehmen, die Leitmelodie, die zur Strophe führt, auf der Gitarre zu intonieren, und dieses Stilmittel kehrt beispielsweise in „You And I“ und „Total Madness“ wieder. Der ruhige Mittelteil von „Bad Connection“ wiederum läßt einen ganz unvermuteten Querverweis ins Hirn des Hörers springen, nämlich in Richtung der Instrumentalarbeit von Black Sabbaths „Die Young“, und trotz anderen Gitarrensounds trifft Tjerneld den Ton von Tony Iommi hier ziemlich genau, obwohl die Außenteile des Songs mit den Black Sabbath der Dio-Ära sonst wenig gemein haben, sondern eindeutig im typischen AOR-Fach verbleiben. Rönnblom hatte mit Killer Bee allerdings etwas metallischer musiziert, und diesen Ansatz übernimmt er partiell auch bei X-Romance: In „Total Madness“, das in einer LP-Variante die A-Seite abschließen würde, darf Drummer Kenta Karlbom die Doublebass durchtreten und ein feistes Speedtempo vorlegen, so dass hier fast eine Kreuzung aus AOR und melodischem Speed Metal entsteht, die freilich etwaiger Zutaten wie aggressivem Riffing oder durchschlagskräftigerem Gesang komplett entbehrt, was ihr indes nicht zum Nachteil gereicht, wie spätestens mit der prächtig durchgespielten Melodie im Hauptsolo deutlich wird, wo der Kenner mit der Zunge schnalzt. Auch Sänger Andreas Novak, dem Melodic-Rock-Freund von House Of Shakira ein Begriff, liefert über die ganze Spielzeit hinweg eine starke Leistung ab, meistert jede geforderte Melodie und ist klug genug, sich höhentechnisch etwas zurückzuhalten. Dass er ein wenig in den Hintergrund gemischt worden ist, hat jedenfalls nichts mit der Qualität seines Gesanges zu tun und übt auch keinen negativen Einfluß auf die Merkfähigkeit der Melodien aus: Gute Teile der zehn Songs hat man relativ schnell intus, ohne ihrer aber genauso schnell wieder überdrüssig zu werden – da halten Rönnblom und seine Kollegen mit einigen ungewöhnlichen Einfällen das Interesse wach, wozu beispielsweise der überraschende, aber nicht unlogische Tonartwechsel hin zum Refrain von „Over And Over“ gehört. Widmark ersetzt bzw. ergänzt die klassischen 80er-AOR-Sounds an einigen Stellen auch mit klassischer Hammondorgel (Thomas Östberg darf das in zwei Songs als Gast noch zusätzlich tun), und „Temporary Love“ atmet ein ganz leicht angebluestes Feeling, vielleicht in Richtung Cinderella gedacht, aber nur in Spurenelementen. Das kernige „Pushing On“ kommt dem Rezensenten, was das einleitende Motiv angeht, das sich dann auch im Hintergrund weiter durch den Song zieht, diffus bekannt vor, aber das Phänomen ist im AOR ja nicht neu – die Kombinationsmöglichkeiten der Harmonien sind endlich, und so verwundert es nicht, wenn da mehrere Leute ähnliche Einfälle hatten, ohne dass man deswegen einen des Kopierens zeihen müßte. „Somebody Out There“ mit seinen unauffälligen und doch eindringlichen Backing Vocals und seinem bedächtigen, doch stetigen Vorwärtsdrang hätte auch auf den besten Petra-Alben eine prima Figur abgegeben, während das abschließende Instrumental „Departure“ nochmal den Härtegrad klar ins Metallische schiebt und eine Art Bruder von Europes „Aphasia“ darstellt, diesem ohne weiteres gleichwertig und zudem in der Gitarrenarbeit, hier wie erwähnt komplett von Christian Rosander und für dessen weiland noch sehr jugendliches Alter in einer erstaunlichen Reife, ein paar Klassikeinflüsse transportierend, die es in dieser Form in den anderen neun Songs nicht gibt. Diese leider nur knapp über drei Minuten (okay, „Aphasia“ war noch kürzer) schließen Voices From The Past auf enorm hohem Niveau ab, und da es auch an den technischen Komponenten bis auf die erwähnte kleine Merkwürdigkeit der Mixposition des Leadgesangs und dem Fehlen der Texte im Booklet (plus einer Vertauschung der dortigen Songreihenfolge, während die auf der Bookletrückseite und die auf dem Backcover stimmt) nichts zu deuteln gibt, bleibt nur ein Urteil: Wer klassischen AOR mit leichter Metalkante schätzt, findet hier einen todsicheren Kandidaten für seine Kollektion, wenngleich man hinter der Optik auch eine Gothic-Metal-CD vermuten könnte. Wenn es denn irgendwann ein Folgealbum gibt: Wie wär’s, auch die anderen drei MLP-Tracks noch neu einzuspielen?
Roland Ludwig
Trackliste
1 | Lonely | 4:07 |
2 | Bad Connection | 4:02 |
3 | Over And Over | 5:19 |
4 | You And I | 3:39 |
5 | Total Madness | 3:25 |
6 | Straight Through Your Heart | 5:15 |
7 | Temporary Love | 3:35 |
8 | Pushing On | 4:14 |
9 | Somebody Out There | 5:31 |
10 | Departure | 3:10 |
Besetzung
Fredrik Tjerneld (Git)
Mikael Dahlin (Git)
Thomas Widmark (Keys)
Anders „LA“ Rönnblom (B)
Kenta Karlbom (Dr)
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |