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Klavierkonzerte - Melodies
Info
Musikrichtung:
Klassische Moderne Konzert/Lied
VÖ: 20.05.2022 (Harmonia Mundi / Harmonia Mundi / CD / DDD / 2021 / Best. Nr. HMM 902612) Gesamtspielzeit: 73:54 |
FARBENWIRBEL
Hört man Maurice Ravels G-Dur-Klavierkonzert in der vorliegenden Neueinspielung durch Cedric Tiberghien und Les Siècles unter der Leitung von François-Xavier Roth, dann möchte man angesichts des kaleidoskopischen Wirbels, den die Interpreten hier entfesseln, Igor Stravinsky zustimmen. Denn der bezeichnete Ravel wegen seiner minuziös ausgetüfftelten Musik als „Schweizer Uhrmacher“. Aber was für ein Schweizer Uhrmacher! Denn wenn diese Musik ein Uhrwerk ist, dann möchte man genau so eine Uhr haben! Eine, die in mehreren Raum-Zeit-Dimensionen tickt, die ein Gefühl für Jazzrhythmen, baskische Tänze und akrobatische Loops hat. Aber ebenso für chopineske Schwebezustände.
Und man möchte bitte genauso eine präzis gearbeitete Uhr haben – denn die MusikerInnen spielen eine quellenkritisch aktualisierte Fassung des Konzerts. Hier wie in dem ebenfalls eingespielten Konzert in D-Dur nur für die linke Hand hat die frühe Interpreten- und Verleger-Generationen nämlich ihre Spuren hinterlassen. Insbesondere Paul Wittgenstein, der weltkriegsversehrte einarmige Pianist, hatte sich für seinen Solopart manche Freiheiten herausgenommen. Aufgrund seiner ab 1932 rapide sich verschlechternden Gesundheit war Ravel leider nicht mehr in der Lage, die finalen Druckfassungen zu betreuen und alle Fehler auszumerzen.
Doch philologische Korrektheit ist natürlich nicht alles. Diese Musik muss schon auch wie beim G-Dur-Konzert so herrlich temporeich-filigran, spritzig, duftig und farbenreich aus dem Klangzerstäuber kommen, wie in diesem Fall. Oder mit einer ebenso eindrucksvoll dunkel-heroischen Emphase dargeboten werden wie beim D-Dur-Einsätzer.
Für diese Vorzüge sorgen nicht zuletzt die alten Instrumente, darunter ein „Grand Patron“ Pleyel-Flügel von 1892. In der Höhe harfig, in der Tiefe schwarzerdig, aber stets transparent, dazwischen matt-polierte Holzfarben: Ein Partner, der auf ohrenhöhe mit dem Orchester zusammenspielt, mit Bläsern wie Streichern korrespondiert, der es gerne perkussiv mag. Mühelos lassen sich so auch die waghalsigsten rhythmischen Manöver in hoher Auflösung realisieren.
Zwischen den Konzerten präsentieren der markant-virile Bariton Stephane Degout und Tiberghien einige Lieder Ravels; ältere Werke zumeist, bis auf die drei Don-Quichotte-Lieder, die zu dem Letzten gehören, was Ravel nach den beiden Konzerten noch komponieren konnte. Degouts Stimme hat vergleichsweise viel Volumen, lässt mehr an die Oper als den Salon denken. Der Sänger lädt die Musik mit starker physischen Präsenz auf und geht vor allen mit den dunklen Klavierregistern in schöne Resonanz. Es sind aber vor allem die beiden Konzerte, die diese Aufnahme so besonders machen.
Georg Henkel
Trackliste
Besetzung
Stephane Degout, Bariton
Les Siècles
François-Xavier Roth
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |