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Kammermusik Vol. 10 - Klaviermusik zu 4 Händen
Info
Musikrichtung:
Romantik
VÖ: 03.06.2022 (B Records / Note 1 / 2 CD / 2021, live / Best. Nr. LBM 041) Gesamtspielzeit: 119:13 |
MEGALOMANIE
Ein wenig Elon Musk-hafter Größenwahn gehört schon dazu, um ein Projekt zu starten, das die gesamte Kammermusik von Johannes Brahms in Konzerten und parallelen Live-Mitschnitten präsentieren soll. Eine Truppe von vier befreundeten Musiker:innen um den Violinisten Pierre Fouchenneret ging das Risiko ein. Mittlerweile liegt die Box mit 16 CDs, entstanden zwischen 2017 und 2021, vor. Wer möchte kann aber auch auf die Auskopplungen einzelner Werkgruppen zurückgreifen - den Abschluss dieser Reihe macht mit Volume 10 eine Doppel-CD mit Klaviermusik zu vier Händen. Es sind Sammlungen von zumeist kurzen Stücken für die bürgerliche Hausmusik, aber - wie stets bei Brahms - gleichwohl höchst kunst- und anspruchsvoll. Sie verlangen nicht nur eine enorme Präzision im Zusammenspiel, sondern, wenn ihr musikalischer Gehalt tatsächlich zum Leuchten gebracht werden soll, einen hohen Grad an Einfühlungsvermögen und Bereitschaft, sich jeder einzelnen dieser Presziosen mit kompromissloser Aufmerksamkeit zu widmen.
Éric Le Sage und Théo Fouchenneret erweisen sich in diesem Sinne als erfahrene Sachwalter der Musik. Von der tiefen Melancholie, die die Variationen über ein Thema von Robert Schumann op. 23 durchziehen, über die schier endlose Folge von Walzerkompositionen bis hin zu den Ungarischen Tänzen, die in der Fassung für Klavier zu 4 Händen, statt der im Orchestersatz schnell gefällig folkloristischen Anmutung etwas Experimentelles und höchst Modernes bekommen, indem sie auf klanglichen, nicht selten perkussiven Effekt zielen, so dass das Klavier bisweilen wie ein Zimbal tönt.
Die beiden Pianisten präsentieren all dies mit einer jugendlich-unbekümmerten Frische. Nicht immer wird dabei alles bis in die Tiefe ausgelotet. Gerade die Schumann-Variationen und einige der Walzer hat man in Studioproduktionen schon tiefsinniger gedeutet hören können. Es mag dies eine nahezu unvermeidbare Folge des ehrgeizigen Gesamtprojekts sein, das unweigerlich auch einen gewissen Zeitdruck mit sich gebracht haben dürfte. Andererseits ist es zugleich eine unverfälschtes "Live"-Erlebnis - realistisch und klar abgebildet. Der dokumentarische Charakter bedingt zudem gewisse Ermüdungserscheinunegn beim Hörer, denn - Brahms hin oder her - nach dem dreißigsten Walzer oder dem zwanzigsten "Ungarischen" wird es irgendwann eben doch anstrengend.
Einen Punktabzug rechtfertigt das "Hygienesiegel", das bei der Doppel-CD (an sich löblich) wohl die Plastikfolie als Umverpackung ersetzen soll, aber leider nicht rückstandsfrei zu öffnen oder vom Pappschuber abzulösen ist. Da ist Frust beim audiophilen Sammler physikalischer Träger vorprogrammiert.
Sven Kerkhoff
Trackliste
Besetzung
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |