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Reviews

Ayreon

Transitus


Info

Musikrichtung: Rockoper

VÖ: 25.09.2020

(Music Theories)

Gesamtspielzeit: 80:54

Internet:

http://www.ayreon.com

Obwohl Ayreon durchaus ins musikalische Beuteschema des Rezensenten passen, findet sich im durchgehörten Teil der hiesigen Tonträgerkollektion bisher nur ein einziges der neun ersten Rockopernprojekte aus der Feder von Arjen Anthony Lucassen (nebst ein paar Scheiben anderer seiner Formationen, u.a. Star One), und das ist eigentümlicherweise das Universal Migrator-Doppelwerk, das inhaltlich keine direkten Berührungspunkte mit der großen Geschichte um dem Titelhelden Ayreon aufweist. Der Terminus „eigentümlicherweise“ meint hier, dass unlängst Transitus eingezogen ist, mit dem Ayreon in die Gilde der zweistelligen Albumnummern vorstoßen – und das ist wieder ein Werk mit nur latenter Konnektivität zum Haupterzählstrang: Zwar verweist der Songtitel „This Human Equation“ unmißverständlich auf das sechste Ayreon-Album, das bekanntlich den Titel The Human Equation trug – allerdings verfügte es nicht über einen Titeltrack. Wer das Album besitzt, kann nachhören, ob es da möglicherweise irgendwo eine musikalische oder auch textliche Brücke gibt.
Apropos Texte: Die sind zumindest bei der Digipack-Doppel-CD-Version von Transitus, die der Rezensent besitzt, nicht abgedruckt, und der Comic, der die Handlung aufarbeitet, liegt ihr auch nicht bei (der LP-Version ebenfalls nicht, heißt es), so dass es für Nicht-Englisch-Muttersprachler schwierig ist, der erzählten Geschichte zu folgen. Der Terminus „erzählten“ besitzt eine spezielle Funktion, denn es ist wirklich ein Erzähler am Start, nämlich Tom Baker, den Serienfans aus „Doctor Who“ kennen könnten und der hier sozusagen den Märchenonkel gibt, welcher sich nicht nur auf das reine Sprechen von Zwischentexten beschränkt, sondern diese auch emotional gestaltet, was man mögen kann oder auch nicht. Grob zusammengefaßt handelt es sich um eine tragische Liebesgeschichte: Der englische Adelssproß Daniel geht eine völlig unstandesgemäße Beziehung mit der Angestellten Abby ein und wird daraufhin von seinem Vater verstoßen. In der Folgezeit driftet die Geschichte aber ins Übernatürliche ab, und wie es sich fürs England des 19. Jahrhunderts gehört, sind Geistererscheinungen und ähnliche Elemente nicht weit. Ob der titelgebende „Transitus“ so ein ähnlicher Zwischenzustand zwischen Leben und Tod ist wie der Nexus in „Star Trek VII – Treffen der Generationen“, müssen Personen entscheiden, die entweder den Comic kennen, die Lyrics bis ins Letzte verstehen oder zusätzliche Informationsquellen auftun – eine naheliegende (und vom Sprecher in „Daniel’s Descent Into Transitus“ auch angedeutete) Lösung wäre es freilich, wenn auch keine allzu originelle, da man außerdem etwa auch an „Ghost – Nachricht von Sam“ oder eine Handvoll weitere Filme denken kann. Aber auf Originalität kommt es in dem Fall ja auch nicht an, wenn man einfach nur eine Geschichte erzählen will, die freilich ohne Zusatzinformationen im luftleeren Raum schweben bleibt und den Hörer nur bedingt fesseln kann.
Bleibt also die in den auf zwei CDs verteilten 81 Minuten enthaltene Musik. Die hebt in Gestalt des sechsteiligen Zehnminüters „Fatum Horrificum“ gleich mit einer geradezu prototypischen Nummer an, die zugleich den strukturellen Unterschied zu Universal Migrator deutlich macht. Dort hatten wir eine Suite aus 20 voll ausgearbeiteten Einzeltracks (oder meinetwegen zwei Suiten mit 11 bzw. 9 Tracks – es gab die beiden CDs damals ja auch getrennt), während das Material auf Transitus stärker ineinander verschränkt wirkt und viele Elemente nur skizziert werden, bevor die Handlung weitergeht, so dass es deutlich schwerer fällt, einzelne „Songs“ herauszupicken. Lucassen hat das natürlich trotzdem geschafft, so dass es insgesamt fünf Videos gibt, darunter erstaunlicherweise keines für die Halbballade „Two Worlds Now One“, als sich Daniel (Tommy Karevik) und Abby (Cammie Gilbert) in einer Rückblende ins Jahr 1883 finden (im Musical gäbe es hier spontanen Applaus). Und die Kombination aus der altenglischen Umgebung und den Science-fiction-Elementen erlaubt dem abermaligen Allein-Kreativkopf natürlich auch, ein reichhaltiges Arsenal an musikalischen Mitteln aufzufahren. „Talk Of The Town“, in dem Daniels traditionsbewußter, aber offenbar auch fieser Bruder Henry (Paul Manzi) beschließt, die unstandesgemäße Verbindung zu torpedieren, wird dementsprechend folkloristisch durchwirkt, enthält allerdings auch einige spacekompatible Keyboards, die man von Universal Migrator noch in bester Erinnerung hat und die mehr oder weniger auch hier die ganze Story latent durchziehen, möglicherweise sogar als eine Art Grundthema gedacht. Auch „Listen To My Story“ kombiniert diese futuristisch anmutenden Elemente gekonnt mit die Vergangenheit assoziierenden röhrenden Hammondorgeln. „Dumb Piece Of Rock“, in dem sich eine Statue auf dem Familiengrundstück mit Daniel unterhält, nachdem dieser ihr seine Situation geschildert hatte (man denkt unwillkürlich an Calvin & Hobbes), gönnt sich sogar ein paar Ausflüge gen Queen (die Chöre!), fährt dann aber weit heruntergestimmtes finsteres Riffing auf, an das Brian May nie im Laben gedacht hätte. In „Get Out! Now!“ erreichen wir die Szene, als der Vater Daniel rauswirft – und wir erleben eine doppelte, leider negative Überraschung. Zum einen singt kein Geringerer als Dee Snider den Vater, aber man erkennt ihn stimmlich kaum wieder, zumindest wenn man seine Stimme nur von den Twisted-Sister-Klassikern in Erinnerung hat. Zum anderen aber ist die Dramatik der Handlung musikalisch ganz und gar einer soliden Harmlosigkeit gewichen, die nun ganz und gar nicht zum Rauswurf passen will, mit Ausnahme der hintergründigen Choreinwürfe, die den Rauswurf fordern und wirklich fies klingen. Diese Nummer fungiert zugleich als erste Single – nur warum? Den Refrain hat man, von den Einwürfen abgesehen, auch nach etlichen Durchläufen sofort nach Entfernen von CD 1 aus dem Player wieder vergessen. Nur wegen Sniders Namen eine so herausgehobene Stellung?
Rein von der Dramatik her macht jedenfalls „Condemned Without A Trial“, der speedige Opener von CD 2, viel mehr her, und der Refrain ist etwas merkfähiger als der von „Get Out! Now!“ – aber sei’s drum. Die Rolle als stilistischer Gegenpol zu „Daniel’s Funeral“ erfüllt „Condemned Without A Trial“ natürlich auch so bestens, zumindest zu dessen ersten zwei Dritteln. Drittel 1 enthält nämlich finsteren Gothic und Drittel 2 finsteren Gothic Metal, wie ihn Lucassen vermutlich nicht finsterer erdenken kann, was er aber auch nicht muß – Drittel 3 morpht dann freilich in den „typischen“ Rockopernsound, was man sich hier im Beerdigungsszenario inhaltlich nur schwer angebunden vorstellen kann, es sei denn, hier soll schon angedeutet werden, dass Daniel nach seiner Ermordung (die Abby in die Schuhe geschoben worden zu sein scheint) im Transitus angekommen ist, denn nach der Rückblende erreichen wir an dieser Stelle wieder die „Gegenwart“ des Jahres 1884. Ob es dem Abdriften ins Komödiantische, wofür „This Human Equation“ sorgt (die Engel amüsieren sich im Transitus über die menschlichen Handlungsweisen und speziell deren Schwächen), unbedingt bedurfte, darüber darf trefflich gestritten werden, zumal gleich darauf Bruder Henry sein Spiel weiter treibt. Zu den stärkeren Nummern zählt definitiv „Message From Beyond“, das Duett von Lavinia (Amanda Somerville) und Abby, allerdings weniger wegen der (nichtsdestotrotz soliden) Sängerinnen, sondern wegen der wunderbaren Baßeinfälle Lucassens in Verbindung mit dem fluffigen Drumming von Juan van Emmerloot. „Inferno“ bindet gekonnt die Chorelemente aus dem Opener ein und schließt damit einen ersten musikalischen Kreis, an dessen Ende dann auch Lavinia und ihr Gatte Abraham (Johanne James – der Threshold-Drummer ist bekanntlich auch ein fähiger Sänger), die maßgeblich an Henrys Missetaten beteiligt waren, sterben, wobei Lavinia in „Your Story Is Over!“ von der Engelbrigade im Transitus noch gehörig die Meinung gegeigt bekommt. Abby darf sich daraufhin im Transitus mit Daniel wiedervereinigen und ins „Great Beyond“ wechseln – das Grande Finale hätte man sich allerdings durchaus ein wenig pompöser vorstellen können, wenngleich die Wirkung des Hauptthemas auch hier nicht ausbleibt und durch einen atmosphärischen Hintergrund tatsächlich noch etwas gesteigert wird, ebenso durch den kurzen Tempoausbruch, als sozusagen die beiden Seelen aufeinander zu stürmen. Aber dann kommt noch eine halbe Minute Geplänkel, der Chor latinisiert nochmal, und plötzlich ist Schluß. Da bleibt der Hörer irgendwie unentschlossen zurück, und der Wunsch, Transitus gleich ein weiteres Mal laufen zu lassen, wird dadurch nicht unbedingt genährt.

So bleibt der Eindruck von Transitus irgendwie zwiespältig, und man wird das latente Gefühl nicht los, der Schöpfer habe den Wald vor lauter Bäumen etwas aus dem Blickfeld verloren und zudem nicht allen Bäumen das ideale Wuchsverhalten gegönnt, da außer Dee Snider auch Tommy Karevik (mit Daniel immerhin die männliche Hauptrolle!) viel zu unauffällig agiert (bzw. agieren muß) und irgendwie außer den Dorfbewohnern (Lisette van den Berg deutet das mit literweise Wimperntusche und einem extrem fordernden Blick schon an) und den Furien keiner mal so richtig auf die Pauke haut. Diesen Umstand kann man als „gediegene Wertarbeit alten Stils“ schönreden oder ihn bedauern, weil die Story durchaus mehr an Dramatik hergegeben hätte. Lucassens grundsätzliches Können verhindert zwar, dass Transitus im Bodenlosen versinkt (ansonsten würde unter diesem Review natürlich keine zweistellige Punktzahl stehen, aber ein solider Qualitätsstandard wird über weite Strecken doch erreicht, und die beiden zum Schreibzeitpunkt dieses Reviews auf metal-archives.com online stehenden Reviews zählen interessanterweise auch einige der Problempunkte auf, interpretieren sie aber als Stärken oder zumindest als nicht störend und geben daher sehr hohe Wertungen aus), aber gegen das Universal Migrator-Doppel kommt das neue Projekt nie und nimmer an. Ob es in der Lage ist, es mit den der Ayreon-Saga zugehörigen Werken aufzunehmen, wäre dann bei passender Gelegenheit zu überprüfen.



Roland Ludwig

Trackliste

CD 1
1. Fatum Horrificum (10:23)
I. Graveyard
II. 1884
III. Daniel And Abby
IV. Fatum
V. Why?!
VI. Guilty
2. Daniel’s Descent Into Transitus (2:40)
3. Listen To My Story (4:03)
4. Two Worlds Now One (4:06)
5. Talk Of The Town (5:21)
6. Old Friend (1:41)
7. Dumb Piece Of Rock (4:13)
8. Get Out! Now! (5:03)
9. Seven Days, Seven Nights (1:27)

CD 2
1. Condemned Without A Trial (3:50)
2. Daniel’s Funeral (4:58)
3. Hopelessly Slipping Away (4:28)
4. This Human Equation (4:19)
5. Henry’s Plot (2:19)
6. Message From Beyond (5:21)
7. Daniel’s Vision (1:45)
8. She Is Innocent (2:09)
9. Lavinia’s Confession (1:53)
10. Inferno (2:17)
11. Your Story Is Over! (2:42)
12. Abby In Transitus (3:02)
13. The Great Beyond (2:49)

Besetzung

Arjen Lucassen (Git, B, Keys, Glockenspiel, Dulcimer, Toy Piano)
und viele weitere Instrumentalisten und Sänger
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So bewerten wir:

00 bis 05 Nicht empfehlenswert
06 bis 10 Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert
11 bis 15 (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert
16 bis 18 Sehr empfehlenswert
19 bis 20 Überflieger