Reviews
Forced Entry
Info
Musikrichtung:
Melodic (Speed) Metal
VÖ: 18.04.2016 (1988) (Battle Cry ) Gesamtspielzeit: 35:49 Internet: http://www.battlecryrecords.de |
Zu den Eintagsfliegen der Metalwelt zählten Forced Entry, wobei es hier um die deutsche Band dieses Namens geht und nicht um eine der gleich zwei US-amerikanischen. Das deutsche Quintett stammte aus Bonn, fand sich 1986 zusammen, spielte nach einem 1987er Demo innerhalb von sechs Wochen im Spätwinter bzw. zeitigen Frühjahr 1988 seine einzige, selbstbetitelte LP ein, die bei Atom H Records veröffentlicht wurde, und verschwand alsbald wieder von der Bildfläche. Und das ist, wenn man die 36 Minuten Musik hernimmt, mehr als schade, lag doch damit einiges an Potential brach, das bei konsequenter Weiterentwicklung Forced Entry von einem Zweitliga-Aufstiegsplatz in die erste Liga hätte bringen und dort etablieren können. Offenbar ging es aber intern drunter und drüber: Mehrere Besetzungswechsel ergaben auch zwei Namenswechsel, und als dann wieder ein Quintett als STS 8 Mission ebenfalls bei Atom H Records sein Debütalbum Mystery Of Time (das übrigens eine Neufassung des Forced-Entry-Songs „Guardians Of The Lost“ enthält) veröffentlichte, waren von der Forced-Entry-Albumbesetzung nur noch Gitarrist Rüdiger und Drummer Willi an Bord und auf dem Folgealbum Slippin‘ Into Fiction dann auch von diesen beiden keiner mehr.
Dabei hegten die Musiker durchaus größere Ansprüche. Das Intro der B-Seite „Sonat In E-Major“ zu taufen spricht ebenso für eine Affinität zur klassischen Musik wie generell die Gitarrenarbeit – dass im Closer „(Don’t) Fall For The Dark“ ein markantes Thema aus Haydns Kaiserquartett verarbeitet wird, dürfte kein Zufall sein, die besagte Sonate stellt tatsächlich ein hübsches Stück Kammermusik dar, und auch in Songs wie der Urfassung des erwähnten „Guardians Of The Lost“ fällt die Arrangementabteilung durch die geschickte Einflechtung von Akustikelementen positiv auf. Wir befinden uns wohlgemerkt noch in den Achtzigern, und da zählte die Affinität zur Hochkultur durchaus noch nicht zum Rüstzeug des Durchschnittsmetallers. Ob die Titulierung des Instrumentals als „Sonat“ ein geschickter Schachzug, um sich nicht zwischen Sonate und Sonata entscheiden zu müssen, ein Wortspiel oder schlicht ein Fehler (von wem auch immer) war, kann in der Nachbetrachtung nicht mehr entschieden werden – die Schreibweise findet sich jedenfalls sowohl in den beiden Tracklisten als auch im Booklet der vorliegenden CD-Re-Release-Fassung.
Seit den Neunzigern steht Forced Entry hier im LP-Schrank, wurde aber mindestens 20 Jahre nicht mehr angehört, auch nicht als Stream – bis jetzt, da der genannte Re-Release hier eingezogen ist. Und das Phänomen, das im Review zu Armored Saints Symbol Of Salvation beschrieben wurde, trat auch hier auf: Gute Teile des Materials haben sich so im Hirn festgekrallt, dass beispielsweise der Refrain von „Carry The Light“ schon beim ersten Wiederhören auswendig und fehlerfrei mitgesungen werden konnte und sich über weite Strecken ein wohliges „Ach ja“-Gefühl einstellt. Auch an die leicht gewöhnungsbedürftigen, im Opener „Desperate For Your Love“ äußerst eigentümlich harmonisierten Vocals von Harry erinnert man sich ganz schnell wieder. Dabei besitzt der Mann durchaus Fähigkeiten, aber wenn er wie in „Guardians Of The Lost“ ganz nach oben geht, wackelt er hier und da doch etwas – eine Sache, die sich mit kontinuierlicher Arbeit vielleicht in Wohlgefallen aufgelöst hätte, denn ausdrucksstark geht der Vokalist allemal zu Werke, und schon im Verlaufe der LP legt er die ersten Unsicherheiten bereits ab. Trotzdem muß festgehalten werden, dass die Haupttrümpfe der Band ganz klar die Gitarristen Rüdiger und Mike waren. Was die im Speedie „Last Dawning“ hervorzaubern, läßt das Herz eines jeden Melodic-Speed-Anhängers in mindestens doppeltem Tempo schlagen, und hier darf auch Drummer Willi (der auf den Nachnamen Schwäbig hört und damit nicht mit einem bekannten Filmvorführer ähnlichen Namens verwechselt werden darf, der zu Tschaikowski-Klängen die Treppe zu seiner Rumpelkammer hochstieg) seinem Spieltrieb in Überschallgeschwindigkeit freien Lauf lassen. Diese Nummer, unter dem Namen „Death By Sunlight“ auch bereits auf dem Demo vertreten, stellt den absoluten Übersong des Albums dar und lohnt den Erwerb desselben schon ganz allein. Sie stand am Ende der A-Seite, und kurioserweise nimmt der andere, kaum schwächere Speedie der Scheibe, das erwähnte „(Don’t) Fall For The Dark“, den analogen Platz auf der B-Seite ein. Ansonsten wechseln Forced Entry zwischen mittleren und flotteren Tempolagen hin und her, auch mehrere in einem Song kombinierend, etwa in der Bandhymne „Forced Entry“ mit treibend-schnellen Strophen und einem verschleppten Doppelpart aus Bridge und Refrain, einem Schema, das sie auch in „Guardians Of The Lost“ in ähnlicher Form bereits angewendet hatten. Mit „Heart Of Man“ (auf dem Demo noch „Heart Of A Man“) gibt es dazu auch noch eine Ballade – dass die Gitarristen ihr phantasievolles Handwerk auch im gemäßigten Bereich beherrschen, ist ja bereits angeklungen, und Harry hat in der balladesken Strophe von „Lost For Love“ (das irgendwie ein wenig an Bloodgood erinnert) schon bewiesen, dass er solche Momente gut etwas tiefer und sanfter gestalten kann. Ähnlich wie Armored Saint Jahre später in „Another Day“ fällt der harte Teil aber auch in „Heart Of Man“ nicht etwa alibimäßig schleppend, sondern wirklich hart aus. Der Refrain wird hier noch durch Keyboards untermalt, die auch sonst gelegentlich zur Akzentuierung oder Stimmungserzeugung Einsatz finden, wobei das Booklet keine Angaben macht, wer sie spielt.
Letztlich half aber alles musikalisches Können nichts: Die etwas matschige Produktion der LP ließ die Songperlen nicht so funkeln, wie sie es verdient gehabt hätten (auch nach dem Remastering klingt vor allem Harry immer noch merkwürdig gedämpft), das LP-Cover sah völlig einfallslos aus (fünf Langhaarige stehen nachts im Gegenlicht vor einem Jugendzentrum o.ä., und nachdem das schon keine Bäume ausreißende Bandlogo mit den Farben Gelb, Rot und Blau arbeitet, mußte das Coverbild auch noch links mit einer abgerissenen Struktur und einer anschließenden gelben Fläche ausgestattet werden), und so fand das Album seinerzeit wenig Beachtung und ist bis heute nicht von den nachwachsenden Generationen an Melodic-Speed-Anhängern, die wissen wollen, was es in den Spätachtzigern in Deutschland außer den bekannten Größen Helloween, Blind Guardian und Running Wild denn noch so in diesem Sektor gab, wiederentdeckt worden. Auch wenn wie beschrieben durchaus nicht alles Gold ist, was glänzt, und man lamentieren kann, warum nur zwei dieser alles wegreißenden Speedknaller drauf sind, lohnt Forced Entry den Erwerb allemal, sei es, dass man irgendwo auf’m Flohmarkt für kleines Geld über die LP stolpert oder dass man kurzerhand den auf 1000 Exemplare limitierten (allerdings nicht numerierten) CD-Re-Release (der ohne jegliche Bonustracks auskommen muß und auch sonst im Booklet nur die originalen Materialien enthält, aber keine Liner Notes o.ä.) erwirbt, solange es ihn noch gibt. Ob überhaupt verwertbares Bonusmaterial existiert hätte, bleibt allerdings sowieso offen – zumindest wurden alle vier Demotracks auch aufs Album transferiert (wenngleich mit den zwei erwähnten Titeländerungen). Da keine grundlegenden Unterschiede im Soundgewand der Albumtracks zu verzeichnen sind, ist davon auszugehen, dass die Demotracks fürs Album neu eingespielt wurden, was in letzter Konsequenz aber nur beurteilen kann, wer sowohl das Demo als auch den Longplayer besitzt.
Fun Fact am Rande: Im Ultimate Hard Rock Guide steht die Geschichte, dass sich Harry (der wie erwähnt bei STS 8 Mission nicht mehr dabei war), bevor er mit Alyson Hell 1995 wieder ein selbstbetiteltes Album herausbrachte, bei Jag Panzer beworben haben soll, aber nicht genommen wurde. Der passende Vorname reichte scheinbar nicht ...
Roland Ludwig
Trackliste
1 | Desperate For Your Love | 3:44 |
2 | Carry The Light | 3:52 |
3 | Guardians Of The Lost | 3:42 |
4 | Ionic Storm | 0:31 |
5 | Last Dawning | 4:49 |
6 | Sonat In E Major | 1:08 |
7 | Forced Entry | 4:15 |
8 | Lost For Love | 3:56 |
9 | Heart Of Man | 5:04 |
10 | (Don’t) Fall For The Dark | 4:25 |
Besetzung
Rüdiger Blindert (Git)
Mike Gage (Git)
Achim Meyer (B)
Willi Schwäbig (Dr)
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |