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La Tempete - Hypnos
Info
Musikrichtung:
Renaissance - Moderne vokal
VÖ: 07.01.2022 (Alpha / Note 1 / CD / DDD / 2020 / Best. Nr. Alpha 786) Gesamtspielzeit: 76:36 |
HYPNOTISCH ENTRÜCKT
Eher lose und assoziativ, vor allem aber von atmosphärisch-klanglichen Überlegungen wird dieses Programm bestimmt, welches das Ensemble „La Tempête“ unter der Leitung von Simon-Pierre Bestion präsentiert: „Hypnos“ sei, so Bestion, eine Meditation über die Nacht, die Dunkelheit, die Ruhe, den Traum und das Jenseits. Ein ritueller Chorzyklus, zusammengestellt aus Einzelsätzen alter wie neuer geistlicher Vokalmusik, die, glaubt man dem Ensembleleiter, eine Art virtuelles Requiem formen, einen Klage- und Trauergesang, der ein Fenster zur Transzendenz öffnen und kathartische Wirkungen evozieren möchte.
Tatsächlich entspricht dieser Ansatz unserer eklektischen, stimmungsbetonten Weise, Musik zu hören. Auch religiöse Musik, die aus ihrem ursprünglichen liturgischen Kontext herausgelöst wird, um je nach Bedarf private spirituelle Reisen im Konzertsaal oder Wohnzimmer oder via Streaming eben grundsätzlich überall zu ermöglichen.
Das Kernrepertoire stammt aus dem 15. und 16. Jahrhundert, als die Vokalpolyphonie blühte: Komponisten wie Pierre de Manchicourt, Heinrich Isaac, Ludwig Senfl, Pedro de Escobar oder Antoine de Fevin stehen für Höhepunkte dieser Kunst. Die Wiedergabe geschieht nicht streng notengetreu, sondern die Ausführenden reichern ihre Partien durch vorher festgelegt oder improvisierte Verzierungen an, eine historisch plausible, aber aus den Quellen schwer erschließbare Praxis. Gleichwohl wirken diese Erweiterungen in diesem Kontext durchaus stimmig und intensivieren die klangliche Wirkung.
In Kombination mit so unterschiedlichen Neutönern wie dem polnisch-jüdischen Komponisten Olivier Greif, dem miktronalen Italienier Giacinto Scelsi oder einem Neoarchaiker wie dem Briten John Taverner offenbaren die Altmeister ihre Modernität – und umgekehrt: die Jüngeren beziehen sich unüberhörbar auf die alten Traditionen, wenngleich mehr im Sinne mystischer Klangbeschwörungen. Interessant, dass Bestion die düstere Sequenz „Dies Irae“, ein Kernstück vieler Totenmessen ausspart, statt dessen aber ein irisierendes „Gloria“ des Mittelalter-Spezialisten Marcel Pérès, dem Leiter vom „Ensemble Organum“, in das Programm aufgenommen hat. Dieses auch vom Umfang her dominierende Werk schmilzt die unterschiedlichen Stiltendenzen der übrigen Stücke gleichsam zusammen und ist so etwas wie das Herz-Stück von „Hypnos“.
Die Qualität der Wiedergabe ist bezwingend. „La Tempête“ zeichnet sich durch einen obertonreichen, erdig-körperlichen Klang aus, der sich in alle Epochen gleichermaßen souverän einschwingt und immer wieder Momente überwältigender, auch unheimlicher Schönheit erzeugt: Faszinosum und Tremendum. Damit vermögen die zehn Sänger:innen einen orientalisierenden altrömischen Kirchenchorals ebenso suggestiv darzustellen wie die kontrapunktische Architektur einer Motette von Heinrich Isaac. Eine dissonant angeschärfte hymnische Litanei von John Taverner verlebendigen sie gleichermaßen überzeugend wie die unterweltlich gärenden Tonumkreisungen eines Giacinto Scelsi.
„Hypnos“ ist der antike griechische Gott des Schlafes. Doch einschlafen tut man hier wahrlich nicht. Vielmehr lauscht man mit gespitzten Ohren, bis man von der Musik regelrecht absorbiert wird. „Klanghypnotisch entrückt“ trifft den Zustand der Hörenden nach rund 80 Minuten wohl am besten.
Georg Henkel
Trackliste
Heinrich Isaac: Quis dabit capiti meo aquam
Olivier Greif: Requiem op. 358 (Requiem)
Ludwig Senfl: Missa paschalis (Kyrie)
Giacinto Scelsi: Requiem
Marcel Peres: Missa ex Tempore (Gloria)
Pedro de Escobar: Missa pro Defunctis (Sanctus & Benedictus)
Marbrianus de Orto: Guimel aus Lamentationes Hieremiae Prophetae
Antoine de Fevin: Missa pro fidelibus Defunctis (Agnus Dei)
Juan de Anchieta: Libera me, Domine, libera me, Domine
John Tavener: Song for Athene
sowie: Anonymus (Chant Vieux-Romain de l'Eglise de Rome / 11. Jahrhundert): Kyrie in natale Domini
Anonymus (Chant Ambrosien de l'Eglise de Milan / 12. Jahrhundert): Dixit Dominus
Besetzung
Simon-Pierre Bestion, Leitung
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