Reviews
First Escape
Info
Musikrichtung:
Symphonic / Gothic Metal
VÖ: 19.02.2016 (Eigenproduktion / Broken Silence) Gesamtspielzeit: 64:18 Internet: http://www.canterra.de |
Sängerin Korinna König und Gitarrist Hendrik „Harry“ Zantop trafen sich einst in einer Band namens Oleum und beschlossen alsbald, eine eigene Formation auf die Beine zu stellen, die sie zunächst Avatar nannten und mit der sie 2010 eine EP namens Echoes Of Fear herausbrachten. Vielleicht waren sie irgendwann von den Fragen verzweifelter Altmetalsammler, ob sie nicht noch ein Exemplar der City Beneath The Surface-EP in gelbem Vinyl auf Lager hätten, genervt – fest steht aber, dass die Idee mit diesem Bandnamen auch schon andere Combos hatten (darunter auch der Savatage-Vorläufer, der besagte ultrarare EP veröffentlicht hatte, von der je nach Informationsquelle nur 21 oder 25 gelbe Exemplare existieren sollen und von deren Normalpressung in schwarzem Vinyl es auch nur 1000 Exemplare gibt, die heute gleichfalls mit Gold aufgewogen werden), und so sprang für Avatar neben einigen neuen Bandmitgliedern letztlich auch ein neuer, originellerer Bandname heraus: Zumindest dem Rezensenten ist keine weitere Band namens Canterra bekannt. Jedenfalls ging das Quintett nach einer erfolgreichen Crowdfunding-Kampagne wieder mit Disillusion-Mastermind Andy Schmidt, der schon Echoes Of Fear betreut hatte, ins Studio, um den Canterra-Erstling, sinnigerweise First Escape getauft, einzuspielen, der die erste Begegnung des Rezensenten mit der Musik der Band markiert – obwohl er durchaus immer mal in der Leipziger Szene unterwegs ist und auch der Canterra-Proberaum in der Messestadt steht, haben sich die Wege bisher nicht gekreuzt. Das ist schade, steht nach dem ersten Hören der zwölf Songs fest – das Material dürfte gerade auch live nicht uninteressant sein.
Dabei beginnt First Escape geradezu unauffällig, denn mit „Child Of Destiny“ hat der Fünfer ausgerechnet die schwächste Nummer an den Anfang gepackt. Klar, sie macht stilistisch erstmal klar, wo hier der Hase langläuft, nämlich im Grenzbereich zwischen Symphonic und Gothic Metal, wobei das Riffing hier und da ein klein wenig an Paradise Lost in den Mittneunzigern erinnert und Korinna eine unaufdringliche Stimme ins Feld führt, die in der Färbung bisweilen an die von Tarja Turunen erinnert, allerdings das Mezzosopranfeld eher in Richtung Alt als in Richtung Sopran beackert. Aber zugleich offenbart sie auch schonungslos die Schwachpunkte der jungen Band, die mit einem grandiosen Intro auftrumpft, nur um nahtlos in einer harmlosen halbakustischen Strophe zu landen, wo die aufgebaute Spannung völlig verpufft. Den gleichen Fehler begeht der Refrain, der nach hinten hin auf eine Klimax zusteuert, die aber ausbleibt, so dass beim Hörer das unerfreuliche Gefühl eines Coitus interruptus entsteht. Auch der Ausklang des durchaus spielfreudigen Solos holpert etwas vor sich hin. „Hurt“ schafft es auch nicht über guten Durchschnitt hinaus, und erst „Come With Me“ zeigt, was Canterra wirklich können – ein vielschichtiges Epos angedüsterten melodischen Metals entspinnt sich da, und der Keyboardsound gleich im Intro ist so wunderbar retro, dass man hier eigentlich ein paar alte Achtziger-Szenehasen am Werk wähnen würde und keine junge Band, deren Mitglieder in den Achtzigern vielleicht gerade mal in den Kindergarten gegangen sind. Damit ist die Wende zum Guten geschafft, denn die Halbballade „My Heart“ hält den hohen Standard, und der Fast-Achtminüter „Broken“ übertrifft ihn gar noch. Hier wechseln Canterra gekonnt zwischen harten Passagen, garniert mit einigen der sonst eher sparsam eingesetzten männlichen Grunzpassagen, deren Urheber in der Besetzungsangabe anonym bleibt und sich nur über die Dankeslisten als Harry zu erkennen gibt, und einigen Verharrungen, konstruieren die Nummer durchaus planvoll, aber gleichzeitig vielschichtig genug, dass man ein paar Durchläufe braucht, um sie zu verstehen, und erzeugen im instrumentalen Teil genügend logisch entwickelte Spannung, um zu beweisen, dass die diesbezüglichen Probleme im Opener Einzelfallerscheinungen bleiben. Wem die Achtminutendauer zu lang ist, der bekommt mit „The Hunt“ danach einen Dreiminüter mit leicht orientalisch anmutender Themenwahl im Intro und eher komprimierter Grundanlage, was allerdings in einem eher unspektakulären, gar abgehackt wirkenden Schluß mündet. Da macht der Fast-Siebenminüter „Save My Life“ mehr Hörspaß, zumal man sich im Vokalisenpart um Minute 1 wohlig an die Frühzeiten von The Third And The Mortal erinnert fühlt, natürlich ohne dass die Leipziger als Kopisten anzusprechen wären. Nur das Hauptsolo hätte hier vielleicht noch ein wenig spannender gestaltet werden können, wenngleich die Einmündung in den finalen Doppelleadpart durchaus auch verwöhnteren Ansprüchen genügen sollte. „White Lies“ wiederum kann man über das diffus bekannte Leitthema vor der ersten Strophe auch nicht böse sein, denn da liegt über dem Refrain wieder ein derartiges Retro-Keyboardgesäusel (diesmal orgelartig), dass man unwillkürlich zu grinsen beginnt, wobei der Song selbst rhythmisch unkomplizierter wirkt, als er eigentlich ist. Das Hauptsolo wiederum folgt in den ersten beiden Phrasen Mustern, wie man sie vom Elbereth-Einzlingswerk ...And Other Reasons kennt, und rundet den Retro-Charakter damit perfekt ab. „My Agony“ wiederum läßt bisweilen Erinnerungen an Within Temptation aufkommen, wobei anzumerken ist, dass Canterra den Symphonic-Faktor grundsätzlich recht niedrig halten, keinen Keyboarder in der Besetzung haben und die gelegentlichen Konservensounds lediglich zur punktuellen Akzentuierung nutzen, während grundsätzlich die Gitarren dominieren, was sie übrigens auch gegenüber den Vocals tun: Korinna ist auffällig in den Hintergrund gemischt, auch die harschen Elemente bleiben immer ein wenig in der Deckung. Keine Ahnung, was zu dieser Entscheidung geführt hat – sie muß angesichts des professionellen Klangbildes (und Andy Schmidt ist bekanntermaßen ein Könner seines Fachs) eine bewußte gewesen sein, was für den Hörer freilich ein wenig schade anmutet, denn er kann sich durchaus vorstellen, dass die Leadstimme noch etwas expressiver gestaltet werden und damit noch stärkere Wirkung entfalten könnte, wenn sie denn ein wenig stärker im Vordergrund plaziert wird. So fallen auch die Refrains insgesamt zu diffus aus, entfaltet kaum einer richtig Langzeitwirkung – ein Feld, auf dem verfeinernd zu arbeiten sich für Canterra durchaus lohnen könnte, denn interessante Ansätze sind allemal da. Einem Hit am nächsten kommt das flotte „Escape“ – ein Akustiksong dieses Titels stand auch schon auf dem Avatar-Demo, so dass zu vermuten steht, dass wir hier nun die „Vollversion“ hören, die sozusagen mit herübergewandert ist, während die anderen fünf alten Songs zumindest titelseitig nicht auf First Escape aufscheinen. Den regulären Teil des Albums schließt der Achtminüter „Footprints“ ab, nochmal ein spannendes Epos, das unter Beweis stellt, dass Canterra auch ohne eingängige Refrains starke Songs hinbekommen, und unterm Strich im Verbund mit „Escape“ ein vielversprechendes Grande Finale. Track 12, „Der einzige Erbe“, ist als Bonustrack gekennzeichnet und fällt auch durch die Verwendung der deutschen Sprache sowie durch seinen Charakter als vom rockenden Finale abgesehen reine Akustikballade strukturell aus dem Rahmen. Als Requiem für einen verstorbenen Freund gedacht, erfüllt dieser Song eher eine persönliche Funktion, und wenn man den Hintergrund nicht mitvollziehen kann oder will (und den Text ein wenig zu kitschig sowie den abschließenden Quintensprung nach unten irgendwie total seltsam findet), bleibt einem immer noch die Option, den CD-Player so zu programmieren, dass er nach Track 11 wieder mit Track 3 (also „Come With Me“) beginnt. Dann bekommt man eine etwas größere Highlightdichte und als „Rahmen“ auch noch einige der stärksten Nummern. Canterra haben im Überschwang vielleicht ein wenig zuviel gewollt – die CD dauert 64 Minuten, und weniger wäre möglicherweise mehr gewesen, was freilich Jammern auf durchaus hohem Niveau darstellt. Ein gutklassiges Debütalbum steht unterm Strich ohne Wenn und Aber zu Buche.
Roland Ludwig
Trackliste
1 | Child Of Destiny | 4:27 |
2 | Hurt | 4:48 |
3 | Come With Me | 4:56 |
4 | My Heart | 5:29 |
5 | Broken | 7:50 |
6 | The Hunt | 3:12 |
7 | Save My Life | 6:49 |
8 | White Lies | 5:05 |
9 | My Agony | 4:51 |
10 | Escape | 3:46 |
11 | Footprints | 8:15 |
12 | Der einzige Erbe | 4:44 |
Besetzung
Hendrik „Harry“ Zantop (Git)
Hannes Otto (Git)
Tom Steudel (B)
Max Krüger (Dr)
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |