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Reviews

Bruce Springsteen & the E Street Band

The legendary 1979 No Nukes Concerts (2-CDs & DVD)


Info

Musikrichtung: Rock

VÖ: 19.11.2021 (1979)

(Columbia / Legacy / Sony)

Gesamtspielzeit: 89:54

Am 21. und 22. September 1979 stand Bruce Springsteen mit seiner E Street Band auf der Bühne des Madison Square Garden und brannte ein Rock- und Rock’n’Roll-Feuerwerk der Extraklasse ab. Er war kein Unbekannter mehr. Seine Alben waren in England und den USA gechartet. In den USA hatten die beiden letzten Alben die Plätze 3 bzw. 5 erobert. Aber die erste Nummer 1 und die erste Top 10 Single standen noch aus. Für viele Fans ist gerade diese Phase seiner Karriere der absolute Höhepunkt gewesen – und sieht man sich die DVD an, wagt man nicht dem zu widersprechen.

Springsteen liefert ein ziemlich klar sortiertes Programm. Er startet mit drei Titeln aus dem damals aktuellen Album Darkness on the Edge of Town. Es folgen zwei Stücke aus dem Doppelalbum The River, das erst über ein Jahr nach dem Konzert erscheinen wird, mit dessen Aufnahme aber kurz zuvor begonnen worden war. In den Dreier aus dem Durchbruchs-Album Born to run wird noch das auf 12 Minuten ausgedehnte „Rosalita“ vom Zweitling The Wild, the Innocent & the E Street Shuffle eingeschoben. In der letzten halben Stunde setzt der Boss auf Cover-Versionen. Sein Debüt hält er außen vor.

„Prove it all Night“ ist ein furioser Auftakt bei dem ein entfesselter Frontmann die Töne nur so aus seiner Gitarre herauswringt und dazu in die Mikros röhrt, als kämpfe er um sein Leben. Und nebenbei wird deutlich, wer trotz der Gitarre von Steven van Zandt und der wummernden Orgel die eindeutige Nummer zwei auf der Bühne ist. Clarence Clemons schafft es oft tatsächlich mit seinem Saxophon noch eine Schippe drauf zu packen. Der „Big Man“ fungiert immer als der ideale Sparrings-Partner für den Boss.

In „The River“, das wohl ruhigste Stück des Abend steigt Bruce bereits schweißnass ein. (Ich selbst war beim Zuschauen allein bereits nach dem zweiten Stück förmlich außer Atem.) „Sherry Darling“ erhält leichte Reggae-Einbauten. Und dann wird nur noch Trumpf gespielt.

Vor allem auf der DVD kommt die Wahnsinns-Performance zur Geltung, die dann bei und ab „Rosalita“ um verschiedene Gimmicks ergänzt wird. Bruce, Little Steven und der Big Man in voller Aktion in Pyramiden-Formation hinter dem Schlagzeug auf dem Drum-Podest. Bruce zum Solo auf dem Flügel oder einer Box. Auch optisch ein Feuerwerk.

Mit „Stay“ wird das Finale mit non-Springsteen-Songs eröffnet. Dazu kommen Tom Petty, Jackson Browne und Rosemary Buttler als Gäste auf die Bühne. Und dann geht es mit einem fantastischen Rock’n’Roll Medley weiter. Es wird aus allen Rohren gefeuert.

Am Ende von „Quarter to three“ bricht Springsteen zusammen und bleibt japsend auf dem Rücken liegen. Natürlich Show! Little Steven fedelt ihm Luft zu. Er erhebt sich langsam und wiederholt schwach den Satz, den er zuvor schon mehrfach gesagt hatte „I can‘t stand it no more!“, „Ich schaff das nicht mehr!“, um dann aufzustehen und grinsend ins Publikum zu rufen: „Ich schaff das nicht mehr!“ Ich bin jetzt 30 Jahre alt. Offensichtlich eine Aufnahme vom zweiten Konzerttag, an dem Bruce in seinen Geburtstag am 23. September hineingespielt hat

Grandios!

Die CDs und die DVD befinden sich in einfachen Stecktaschen, die zusammen mit einem 24-seitigen Booklet und einem kleinen Umschlag mit der Replik einer Konzertkarte in einer stabilen Papp-Box stecken.

Das Booklet ist vor allem ein Bilderbuch, enthält aber auch fantastische und ungewöhnlich Liner Notes von Jon Kilik, der für die Organisation der Videoaufzeichnungen verantwortlich war. Er beschreibt ungeheuer plastisch die Situation von Live-Aufnahmen in einer Zeit, in der es noch keine digitalen Kameras mit praktisch unbegrenzter Speicherkapazität gab, als mit Handkameras gearbeitet wurde, bei denen alle 9 Minuten eine neue Filmkassette eingelegt werden musste, als es noch keine Handy- oder In-Ear-Kommunikation untereinander gab, oder computergesteuerte Kameras an Schwenkkränen über der Bühne schwebten. So entschuldigt sich Kilik in seinem Text auch bei Little Steven, dass es nicht gelungen sei, mit der Kamera rechtzeitig zu seinem fantastischen Solo bei „Jungleland“ bei ihm zu sein.

Während des Konzertes bedankt sich Springsteen einmal bei Graham Nash und Jackson Browne – ohne das deutlich wird, wofür. Und damit sind wir bei dem einzigen – allerdings gravierenden Kritikpunkt an dieser Veröffentlichung.

Am 28. März ereignete sich im Kernkraftwerk Three Miles Island, drei Stunden Autofahrt von New York City entfernt, eine Kernschmelze, bei der um eine noch größere Katastrophe zu verhindern auch radioaktiv verseuchter Dampf abgelassen werden musste, einer der gravierendsten Unfälle in der Geschichte der zivilen Nutzung der Kernkraft, der erst von Tschernobyl getoppt wurde.
Daraufhin wurde federführend von Nash und Browne das große No Nukes-Festival organisiert, bei dem sich viele hochkarätige Musiker für das Ende der Nutzung der Atomkraft einsetzten. Springsteen war an zwei der fünf Festival-Tage Headliner. Das erklärt natürlich auch die – zumindest für Springsteen - relativ kurze Spielzeit von der Länge eines normalen Spielfilms. Springsteen orientiert sich da in der Regel eher an Monumentalfilmen wie Vom Winde verweht, Ben Hur oder dem Herrn der Ringe.

Dass dieser Kontext nicht einmal andeutungsweise erwähnt wird, führt natürlich zu einem deutlichen Punktabzug. Dass der sich nicht auswirkt, liegt daran, dass die 55 oder 57 Punkte, die das Set eigentlich verdient hätte, in unserem Punkteschema eh nicht abbildbar ist - und sich nichts an den 20 Punkten ändert, wenn ich nur 47 oder 49 geben würde.
So sei hier aber zumindest darauf hingewiesen, dass das Festival in Form eines Filmes und einer 3-LP-Box dokumentiert wurde. Letztere ist auch als CD veröffentlicht worden. Darauf zu hören sind u.a. die genannten Tom Petty und Graham Nash, aber auch Poco, James Taylor, Carly Simon, Chaka Khan, die Doobie Brothers und andere. Von Springsteens Auftritt sind „Stay“ und das „Detroit Medley“ enthalten. Ein vorbildliches Boxset, das mit einer dicken Dokumentation ausgeliefert wurde, die sich u.a. intensiv mit den Risiken der Atomkraft auseinandersetzt.



Norbert von Fransecky

Trackliste

1Prove it all Night 5:58
2Badlands 5:46
3The promised Land 6:22
4The River 6:05
5Sherry Darling 6:12
6Thunder Road 5:26
7Jungleland 9:48
8Rosalita (come out tonight)12:09
9Born to run 4:59
10Stay 4:29
11Detroit Medley 9:42
12Quarter to Three 9:56
13Rave on 3:00

Besetzung

Bruce Springsteen (Git, Voc, Mundharmonika)
Roy Bittan (Piano)
Max Weinberg (Dr)
Garry Tallent (B)
Danny Federici (Orgel, Glockenspiel)
Steve van Zandt (Git, Back Voc)
Clarence Clemons (Sax, Perc, Back Voc)

Gäste:
Jackson Browne (Co-Lead Voc <10>)
Tom Petty (Co-Lead Voc <10, Git <10>)
Rosemary Butler (Co-Lead Voc <10>)
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