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Amazone
Info
Musikrichtung:
Barock vokal & instrumental
VÖ: 01.10.2021 (Erato / Warner Classics / CD DDD / 2020 / Best. Nr. 0190295065843) |
ZARTWILDE LEIDENSCHAFT
Auf ihrer jüngsten Platte entführen uns die junge französisch-italienische Sängerin Lea Desandre und das Ensemble "Jupiter“ unter der Leitung des Lautenisten Thomas Dunford in ein imaginäres barockes Reich amazonischer Kraft und Leidenschaften.
Das ist ein in vieler Hinsicht bemerkenswertes Album, angefangen von der originellen Thematik über die künstlerische Konzeption (Yannis François) bis hin zur luxuriösen musikalischen Ausführung. An der sind neben Desandre und „Jupiter“ eine Reihe von Gästen beteiligt, deren Namen aufhorchen lassen:
Als Mentor vieler der hier versammelten jungen französischen Barock-Musiker entbietet u. a. Altmeister William Christie dem Projekt seine Reverenz am Cembalo, zusammen im Duett mit Dunford. Viele der Mitwirkenden, so auch Desandre, haben durch Christie wichtige Impulse für ihre eigenen musikalischen Visionen empfangen und arbeiten nach wie vor mit ihm zusammen, z. B. der Geiger Théotime Langlois de Swarte, der neben seiner Solistenkarriere in verschiedenen Ensembles wie Christies „Les Arts Florissants“ oder eben auch mit Dunford zusammen auftritt.
Alexis Kossenko, Leiter von „Les Ambassadeurs“, steuert Flötentöne bei, die Barock-Perkussionistin Marie Ange Petit mischt Sturmklänge ins Geschehen. Ein regelrechter Coup ist freilich die Mitwirkung von Cecilia Bartoli und Veronique Gens, die in zwei Duetten auf Augenhöhe Liebes- und Kriegsschwüre mit ihrer jungen Kollegin austauschen. Es dürfte nicht viele Alben junger Sängerinnen geben, die derart mit Prominenz aufwarten und doch gar nicht eitel wirken.
Denn dass dieses Projekt nicht nur ein Album von und für Lea Desandre ist, sondern eine Bühne, auf denen sämtliche Beteiligte glänzen können, erweist sich nicht zuletzt in den vielen schönen rein instrumentalen Stücken, die fast gleichgewichtig neben den Gesangseinlagen stehen. Da finden sich Stücke von bekannten Meistern wie François und Louis Couperin, Marin Marais, Antonio Vivaldi und Francesco Cavalli, aber auch anderen Barockkomponisten. Viele davon sind kaum bekannt und wurden für dieses Album, das um das Thema „Amazone“ kreist, dem Vergessen entrissen. Wer hat schon mal Guiseppe de Bottis „Mitilene, regina della amazzoni“ gehört, die 1707 in Neapel Premiere hatte? Bereits 1681 hatte ein gewisser Giovanni Buonaventura Viviani das gleiche Libretto vertont, auch daraus hören wir etwas. Oder wer kennt heute noch André Cardinal Destouches „Marthésie, premiere reine des amazones“, die zuerst 1699 in Fontainbleau erklang? Gar Georg Caspar Schürmanns „Getreue Alceste“, die 1719 in der Hamburger Gänsemarktoper auf dem Programm stand?
Lea Desandre hat für die schillernden Amazone-Gestalten, diese selbstbewussten und emanzipierten mythischen Kriegerinnen, in allen Lebenslagen genau die richtige Stimme. Tatsächlich verfügt sie über eine erstaunliche Vielfalt verschiedener Stimmen, die sich auf faszinierende Weise mischen: Ein dunkles Mezzo-Register geht mit durchschlagenden Sopranhöhen zusammen; eine junge, mädchenhafte Stimme mit reiferen, fraulichen Farben. Dazu kommt eine gewisse androgyne Kombination aus Weichheit und Kraft: Zartwilde Leidenschaft!
Desandre kann vieles mit ihrer Stimme, auch Lachen und Weinen. Und sie verleiht den Figuren selbst bei kaum mehr als eine Minute währenden Stücken individuelles Profil, soweit dies bei den barocken Konventionen denn überhaupt möglich ist. Sie ist überzeugend im Humorvollen wie im Heroischen, im Kämpferischen wie im Liebesleiden. Von letzterem bleiben auch die männerverachtenden Amazonen nicht verschont, schon gar nicht auf der barocken Opernbühne, wo man offenbar das Miteinander von feministischer Militanz und amouröser Hingabe unwiderstehlich fand.
Mit Dunford und „Jupiter“ hat Desandre das perfekte „Begleitensemble“: Reflexschnell, klangfarbensensibel und zugleich schlank wird in kleiner Besetzung musiziert. Dank der zupackenden Tontechnik und einer runden Kirchen- bzw. Theater-Akustik erlebt man das in voller Aussteuerung. Man hört sogar den Luftstrom in der Orgel, doch selbst der wirkt hier musikalisch.
Kaum ist’s nach einer überraschenden Zugabe vorbei, möchte man diese Amazonen-Platte gleich von vorne starten.
Georg Henkel
Trackliste
Cavalli: Ercole amante-Sinfonia
Viviani: Arie "Muove il pie" aus Mitilene, regina delle amazzoni
Bottis: Arien & Duette aus Mitilene, regina delle amazzoni
Schürmann: Sinfonia pour la tempete & Arie aus Die getreue Alceste
Pallavicino / Strungk: Arien aus L'Antilope
Philidor: Les Amazones
L. Couperin: Passacaille c-moll
Destouches: Arien aus Marhtesie, premiere reine des amazones
Marais: L'Ameriquaine
Jean Rondeau: Postlude improvisé
F. Couperin: L'Amazone
Vivaldi: Sinfonias & Arien aus Ercole sul Termodonte RV 710
Thomas Dunford: Amazones (2020)
Besetzung
Veronique Gens, Sopran
Cecilia Bartoli, Mezzo-Sopran
William Christie, Cembalo
Jupiter
Thomas Dunford, Laute und Leitung
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |